Trucker-Tagebuch: „Weißt, ich bin ja echt einiges gewohnt. Aber das war die ekelhafteste Dusche meines Lebens!“

Aufladen und Arbeiten

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Truckerboys Wecker verabscheue ich mittlerweile wie sonst nichts in der Welt. In der Nacht hat ein mächtiger Sturm über unser Nationalparksparadies hinweggeblasen, ich war dauernd munter, aus Angst vor dem Geröllfeld neben uns. Truckerboy hingegen hat die Nacht im Halbkoma verbracht („Häh? Was für ein Sturm?“). Es ist vier Uhr morgens.

Am Morgen

Wir machen eine Pinkelpause in Birmingham. Ich geh in der Pyjamahose zur Tankstelle, finde das Klo nicht und muss den 60-jährigen Tankwart fragen. Mein „May you please be so kind and show me where your bathroom is!?“, enlockt ihm ein Lächeln und die kokette Antwort: „Mine is upstairs, actually. And I would gladly show you. But I guess you’d rather prefer the public one. Right behind you it is.“ Und eben jenes Klo ist gemischt, der nette Feuerwehrmann, der dort eben noch seinen Darm entleert hat, hält mir die Klotüre auf, wünscht mir einen schönen Tag.

Wir fahren weiter. Truckerboy steht wieder ordentlich unter Druck, schaut permanent auf die Uhr, zählt die Minuten, weil uns schon fast wieder die Fahrzeit ausgeht. „Weißt wie scheiße das ist, wenn die dich da erwischen, wenn du drüber kommst?! Da kommt die Polizei, die kann den digitalen Tachografen bzw. die Fahrerkarte sofort auslesen. Und dich vor Ort gleich strafen. Und zwar nicht nur jetzt, sondern auch noch 28 Tage rückwirkend!“, schimpft er.

Keine Minute zu früh schlagen wir heute bei unserer ersten Ladestelle auf, nur um von denen dort zu erfahren, dass sie Stress haben und keine freie Rampe und gerade keinen Kopf. Wir machen also Pause, kuscheln, kochen im LKW wieder Eierspeise, das Ganze parkend in Innenhof einer Spedition, rund um uns tausende Tonnen an Hülsenfrüchten und getrockneten Obst aus allen Ecken der Welt auf Europaletten.

Truckerboy pennt, ich rauche gemütlich an ein paar Hundert Kilo Datteln aus der Türkei gelehnt, als mich einer der Mitarbeiter nach draußen schickt, weil Rauchverbot. Vorm Tor treffe ich einen Fahrer aus Ungarn, der seinen LKW auf der Straße geparkt hat und der gerade das Gelände betreten will, von dem Mitarbeiter aber sofort total angestänkert und lautstark vertrieben wird, er soll draußen warten, bis er dran ist. Ich bin mir sicher, er ist vor uns schon dagewesen.

Truckerboy erklärt mir, dass es in England einen sehr großen Unterschied macht, wo man herkommt. Er, der Deutsch und Englisch spricht, wird in den meisten Fällen sehr gut aufgenommen, man bietet ihm gelegentlich Tee an, fragt, ob er duschen möchte, führt Smalltalk. Als er sich in einer Spedition einmal erkundigt hat, ob eigentlich alle duschen dürfen, ist ihm dort gesagt worden: Nein. Nur mehr „ihr“. Damit sind die Deutschen und Österreicher gemeint, nicht die Osteuropäer, die haben ihnen nämlich in der letzten Zeit mehrmals hintereinander die Duschköpfe gestohlen.

Generell haben Fahrer aus dem Ostblock oder Ungarn in England einen schlechten Ruf, ich hab’s ja selber gerade erlebt, wie unterschiedlich wir behandelt werden. „Wundert’s dich?“, sagt Truckerboy. „Wenn du hier arbeitest und dann kommen ich und so ein Ungar gleichzeitig. Ich stell mich in ihrer Sprache vor, sag woher ich komm, was ich laden will und sag bitte und danke und frag nett, ob ich aufs Klo gehen darf und dann kommt der Ungar, der ihnen kommentarlos das Handy hinhält, ihnen die Sms mit der Liefernummer zeigt, weil er die Sprache nicht kann, und das wars. Ich bin geduscht und trag Firmenkleidung, der ist ungeduscht und hat Schlapfen an. Wen nimmst du als Erstes?!“

Zu Mittag

Über lächerlich enge Landstraßen, vorbei an Obstplantagen, unglaublich niedlichen Steinhäusern und Farmen fahren wir zur nächsten Ladestelle. Wir landen bald auf einem Firmengelände, irgendwo, wo Bio Säfte und deren Grundzutaten produziert werden. Der Hof ist voll mit großen Holzkisten, sie sind meterhoch gestapelt und enthalten je nach Box z.B. eine Tonne rote Rüben, Sellerie oder Fenchel. Im Hintergrund zerkleinert eine Maschine Karotten, sie fallen direkt auf die Ladefläche eines Pickups, hinter einem Plastikvorhang werden rote Rüben gepresst, davor stehen riesige Kanister mit dem Saft, sie fassen einen Kubikmeter.

Truckerboy und der Staplerfahrer beginnen sofort mit der Arbeit, es geht Hand in Hand, der eine holt die Paletten aus dem Lager, der andere zieht sie mit einem Hubwagen im Trailer dahin, wo er sie möchte und fixiert sie. Als wir uns eine gute Stunde später verabschieden und ich im Auto einen Blick auf die Papiere werfe, wird mir ganz anders.

Auf unserem Truck befinden sich jetzt einige Tonnen Tomatenkonzentrat. Die Tomaten kommen aus Italien, eine kurze Googlesuche zeigt, dass es sich bei dem Namen auf den Papieren um einen großen Gemüse und Getreideexporteur in der Nähe von Pavia handelt. Nächster Halt der Tomaten: Portugal. Jetzt haben wir hier, auf diesem Hof in Ipswich, das Konzentrat aus eben jenen Tomaten geladen. Ob es hier produziert oder nur zwischengelagert worden ist, können wir auch nicht sicher sagen. Wir bringen das Konzentrat nach Oberösterreich, wo dann das Endprodukt hergestellt werden wird. Der Weg, den diese Tomaten zurückgelegt haben, kommt uns beiden unglaublich absurd vor. Wir wettern wieder über die Globalisierung und die niedrigen Löhne in Ländern wie Italien oder Portugal, die es erst möglich machen, dass solche Distanzen zur Verarbeitung zurückgelegt werden.

Am Nachmittag

Es ist mittlerweile halb drei, wir sind seit knapp 10 Stunden unterwegs und haben bis auf ein bisschen Obst noch nicht gegessen. Wir bleiben also vollkommen ausgehungert und fertig bei einem Tesco, der britischen Variante vom Interspar, stehen und geben uns vollkommen unserem Kaufrausch hin. Eine alte Dame spricht uns an, will wissen woher wir kommen, unser Dialekt kommt ihr so bekannt vor. Als wir unsere Herkunft offenbaren, wird sie ganz sentimental, ihr Großvater war Salzburger, sie hat unsere Sprache seit mehreren Dekaden nicht mehr gehört und ist richtig gerührt.

Obwohl auch hier alles voller Schafe ist, verkauft Tesco an prominentester Stelle das Lammfleisch aus Neuseeland, und ja, natürlich ist es billiger, als das heimische. Wir verzweifeln erneut, versorgen uns mit den Basics: Brot, Bier, Fleisch, Gemüse, Popcorn, Süßes und Chips mit Scampi Geschmack.

Truckerboy kämpft  gegen die Zeit, eine Ladestelle haben wir noch, sie ist zwar nur knappe 40 Kilometer entfernt in Witham, aber uns wird die Fahrzeit knapp und es ist viel Verkehr. Und wieder einmal kommen wir auf die Minute genau an und melden uns beim Disponenten.

Der schreit in seinem Büro gerade mit den Staplerfahrern und hat keine Lust mit uns zu reden, meint, er könnte uns nicht helfen, unsere Ladung wäre noch nicht einmal da, wir sollen um Mitternacht wieder kommen, aber keinesfalls hier im Hof parken, er erwartet nämlich zwanzig Wägen in den nächsten beiden Stunden. Truckerboy ist das egal, er findet einen Parkplatz, quetscht sich zwischen einen anderen Truck und die PKWs der Mitarbeiter und sagt zu dem unfreundlichen Typen, dass er seine maximale Fahrtzeit bereits erreicht und schon mit der Pause begonnen hat. Der Typ sieht mittlerweile auch etwas entspannter aus und wünscht uns sogar eine gute Pause und eine nette Nacht, und das obwohl es erst Nachmittag ist. Aber das ist egal, Trucker schlafen dann, wenn es ihnen die Arbeitszeit sagt und nicht, wenn es dem natürlichen Rhythmus entspricht.

Die Spedition hat eine Dusche und natürlich darf ich sie benutzen. Ich befürchte Schlimmstes.

Mit voller Blase und der gefühlten Dreckschicht von drei Tagen auf der Haut, wage ich mich in den Duschbereich. Es ist eiskalt in dem Raum, im Klo schwimmt eine frische Wurst von respektabler Größe, das ist umso gschmackiger, weil ich weiß, wer sie hinterlassen hat, nämlich der nette Ungar der neben uns parkt, er ist gerade vor mir rausgekommen.

Die Dusche selbst ist voller Haare, Dreck oder Schimmel in den Fugen. Als ich gerade die Haare eingeseift habe, geht das heiße Wasser aus und es kommt nur noch eiskalt. Ich will schreien. Nachdem die Benutzung des Klos nicht in Frage kommt, pinkle ich unter die Dusche, nur um dann zu erkennen, dass der Abfluss verstopft ist. Ich stehe also bis über die Knöchel in einer Mischung aus meinem und fremdem Dreck, Schaum und meinem Urin. Zitternd komme ich aus der Duschkabine, wasche meine Füße in dem rasierschaumverkrusteten Waschbecken und flüchte in den LKW, den der wunderbare Truckerboy auf knappe 30° aufgeheizt hat.

Lachend und leicht angeekelt hört er sich meine Geschichte von der Horrordusche an, sieht mich schockiert an, als ich plötzlich auf einen Mann draußen zeige und schreie: „Schau, das ist das dumme Ungarn-Arschloch, das zu deppat zum Runterlassen ist!“ „Vor ein paar Tagen wärst du mir noch mit der Rassismus Keule gekommen, Schatzilein!“, sagt er. „Mir ist das wurscht, wenn die Leute zu deppat sind zum Scheißen, dann darf ich mich beschweren und da ist mir politische Correctness jetzt im Moment komplett blunzn!“ Ich erkenne mich selbst nicht wieder, habe das psychische und physische Belastungslimit offenbar erreicht.

Truckerboy weiß mittlerweile, Essen macht mich wieder lieb und menschlich. Er wirft also den Gaskocher an und ein dickes Steak in die Pfanne. Bittet mich dann um das Gemüse und mich trifft fast der Schlag. Wir, die wir heute schon wieder den ganzen Tag über den sinnlosen Überseehandel, die Globalisierung und die Ausbeutung von Arbeitskräften in Billiglohnländern gewettert haben, haben in unserer Gier einfach ernsthaft Brokkoli und Bohnen aus Kenia gekauft. Fucking Kenia! Unser Brokkoli ist also auch über 10.000km weit gereist. So lecker er ist, der Beigeschmack ist bitter und hat einen Hauch von Heuchelei im Abgang.

Fleisch im LKW

Gegen halb 7, also nach 18 Stunden auf den Beinen, gut 500 km Strecke und zwölf Stunden Arbeit fällt Truckerboy in den Tiefschlaf und als ich uns den Wecker auf 23:45 stelle, möchte ich am liebsten heulen. Aber sie haben uns gesagt, unsere Ladung ist ab Mitternacht fertig, also was sollen wir tun.

„Du bist im Endeffekt als Fahrer nur das Arschloch der Gesellschaft, das ist die Realität“, murmelt Truckerboy, als ich mich zu ihm in die Koje kuschle und ihm erkläre, dass ich nicht verstehe, wie er diesen Scheißjob schon so lange aushält.

Ihr wollt die ganze Reise nachlesen? Do it!

#1 Prolog: Die Truckerbraut: Viertausendundzehn Kilometer

#2 Tag 1: Mit dem LKW von Salzburg nach Wales und zurück

#3 Tag 2: „Ums Verrecken könnt ich keine Tiere durch die Gegend fahren!“

# 4 Tag 3: “Jetzt wartets. I muss mi konzentrieren. Jetzt kommen die Nutten!“

# 5 Tag 4: „Weißt, ich bin ja echt einiges gewohnt. Aber das war die ekelhafteste Dusche meines Lebens!“

# 6 Tag 5: „Das machen sonst nur die im Uboot!“

#7 Tag 6: “Wer eine Warnweste trägt, gehört dazu!”

Die Fotos stammen alle von der Autorin.

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