Trucker-Tagebuch: „Jetzt wartets. I muss mi konzentrieren. Jetzt kommen die Nutten!“

ACHTUNG, DIESER BEITRAG IST VERALTET! BITTE ÜBERPRÜFE, OB DIE DARIN ENTHALTENEN INFOS NOCH AKTUELL SIND. WIR KÜMMERN UNS SOBALD WIE MÖGLICH UM EINE AKTUALISIERUNG!

Truckerboy weckt mich um kurz vor fünf, ich schlafe in der Koje über ihm wie ein Stein. Aber erst, seit ich gelernt habe, die Standheizung auf eine für mich erträgliche Temperatur runter zu drehen oder das Fenster zu öffnen, sobald er eingepennt ist.

Am Morgen

Ich brauche nicht einmal Kaffee, um munter zu werden. Der Umstand, dass er während meiner morgendlichen Pinkelsession unter dem Aufleger den Motor startet und ich vor lauter Schreck und Panik, dass er jetzt losfährt und mich zehn Tonnen Kühlschränke (wir sind uns nicht mal sicher, ob es Kühlschränke sind, die wir da durch die Welt fahren) überrollen, reicht vollkommen aus. Mein lautes „Heast, Oida, ham’s dir ins Hirn gschissn?!“ beweist, wie gut ich mich mittlerweile auch verbal an mein neues Milieu angepasst habe. (Das ist eine Lüge, ich hab schon immer schirch geredet!)

Wir haben wieder Konsumationsgutscheine bekommen, stopfen uns also beim McDonalds nebenan mit Bacon and Egg Mc Muffins voll. Dass Truckerboy gleich im Anschluss wie ein Narrischer in der Dunkelheit, in strömendem Regen, auf einer Bundesstraße (weil Umleitung) dahinbrettert, hilft meinem Wohlbefinden nicht gerade und führt zu weiteren sprachlichen Eskalationen meinerseits („Oida! Bist hinig! Wildwechsel!“).

Zurück auf der Autobahn Richtung Norden sind wir wieder glücklich, der Stau ist diesmal nicht bei uns, sondern auf der Gegenfahrbahn. Besonders vor den großen Städten, Leicester oder Nottingham, ist der Berufsverkehr erschlagend.

„Grauslige Vorstellung, oder?!“, sagt Truckerboy. „Da brauchst du wegen dem scheiß Verkehr, vielleicht zwei Stunden in die Arbeit. Wenn ich im Stau stehe, ist es auch scheiße, aber ich bin wenigstens dabei schon in der Arbeit!“. Er lacht.

Ich mache soweit möglich am Beifahrersitz Yoga, schäle Obst und schmiere uns Butterbrote, bin wieder mal froh über unseren langsamen Kübel, weil bei Messer in der Hand auf Autobahn sofort die geschockte Stimme meiner Mutter in meinem Kopf erklingt.

Im Radio geht’s um Trump und den Elfenbeinhandel, wir wettern wieder unglaublich über den Überseehandel, die Absurdität davon, dass es für sowas wie Elfenbein heutzutage überhaupt noch einen Markt gibt, während wir uns immer weiter nach Norden hinauf arbeiten. Ich erzähle, wie gestört ich das finde, dass der Grabstein meines Opas aus China billiger war, wie ein regionaler aus Österreich, Truckerboy schüttelt nur den Kopf, ihn „wundert überhaupt nix mehr!“.

Am Vormittag

Zwei Tage sind wir durchgefahren. Auf die Minute pünktlich schlagen wir jetzt bei der ersten Ladestelle auf. Ein unscheinbares Firmengelände bei Keighly, einer Kleinstadt nordöstlich von Manchester. Truckerboy steckt mich in eine Warnweste und sagt: „Du kommst jetzt mit“ und führt mich in die Firmenhalle, wo uns auch schon Milly, die zuständige Dame, begrüßt.

Es regnet noch immer, also stelle ich mich bei ihr unter, während Truckerboy die Fracht entgegen nimmt, wir bringen sie gemeinsam mit dem Rest heute noch nach Wales, den Hafen von Holyhead. Und obwohl ich eigentlich beim Laden zusehen möchte, endlich einmal einen Blick in den Aufleger, unter den ich seit Tagen pisse, werfen möchte, bleibe ich bei Milly hängen. Sie bittet mich, ihr die Dokumente zu erklären und ihr beim Ausfüllen zu helfen, sie sind nur auf Deutsch.

Also habe ich zum ersten Mal irgendwelche Lieferscheine in der Hand, sage ihr, wo der Empfänger und wo der Absender stehen müssen und dann verzetteln wir uns in einer Unterhaltung. Sie erzählt mir von ihrer Tochter, die in München studiert, dem Schwiegersohn aus Bad Reichenhall und dem Sommerurlaub in Salzburg. Lobt mich für meinen Mut und meine Bereitschaft, Truckerboy zu begleiten, vor allem, wenn man sich erst so kurz kennt, findet es auch „absolutely lovely“, dass die Firma das so problemlos erlaubt.

Ich sage, dass ich das jetzt schon von vielen Frauen gehört habe, die Fernfahrer daten, dass man sie begleiten kann, anscheinend heißen die meisten Arbeitgeber es gut, die Fahrer sind dann wohl zufriedener und machen einen besseren Job.

Im Hintergrund wuseln immer Truckerboy und der Staplerfahrer herum. Ich nehme mir vor: Ab jetzt kein Smalltalk mehr mit netten Damen, ich versäume ja alles. Das Damenklo in der Spedition ist allerdings sehr schön.

„Was hast du da jetzt geladen?“, frage ich Truckerboy in der Pause.

„Kühlschrankgitter“, sagt er und kriecht weiter vor mir auf dem Boden im der Fahrerkabine herum. Es hat uns vorher eine unserer Bierflaschen zerrissen und der ganze LKW stinkt und ist voller Scherben.

„Wow! Kühlschrankgitter.“, sag ich und verschütte fast meinen Kaffee vor Begeisterung. Nicht.

An Manchester und Liverpool vorbei geht’s wieder zurück in den Südwesten. Irgendwann passieren wir die Grenze zu Wales, man erkennt das daran, dass die Ortstafeln zweisprachig werden. Was da darauf steht, ist unaussprechlich. Das Wetter klärt auf, was vor allem an der Küstenstraße sehr schön ist, wir machen uns wieder gegenseitig auf landschaftliche Highlights aufmerksam: Schafe, Kirchen, Burgen und Ruinen, mehr Schafe, Offshore Windparks, lustige Verkehrsschilder („Ich glaub, da stand grad echt: ‚Achtung, Dachse queren‘, Sachen gibt’s“) noch viel mehr Schafe.

 

Am Nachmittag

Wir kommen in Holyhead am Fährhafen an. Es ist einer der westlichsten Punkte von Wales, hier legt die Fähre ab, quert die irische See und legt in Dublin wieder an. Wir fahren zur Hafen Security, nennen unser Kennzeichen und die Trailernummer, bekommen einen Stellplatz zugewiesen und fahren dort hin. Ich bin wieder mal baff, weil das alles so unkompliziert geht, niemand will irgendwelche Dokumente sehen, keiner schaut in den Trailer rein. Dafür sind überall Kameras, Wachpersonal in Warnwesten fährt im Kreis. Wir tuckern über das Hafengelände, Truckerboy findet die ihm zugewiesene Zone, stellt den Trailer ab und ich hab gefühlte drei Fotos gemacht und eine halbe Zigarette geraucht, als er schreit: „Fertig!“

„Wie, fertig?“, will ich wissen, weil ich es nicht glaube, dass es das jetzt gewesen ist. Wir haben diese Ladung jetzt zwei Tage (bzw. ein paar Stunden, man darf ja niemals die Kühlschrankgitter vergessen) mit uns herumgefahren und dann wird die einfach so gleichgültig in einem Hafengelände allein gelassen, keiner kommt, um sie zu kontrollieren, es ist einfach über alle Maßen unspektakulär. Ich bin richtig enttäuscht, Truckerboy lacht nur und fragt mich, was ich jetzt erwartet habe. Das kann ich ihm auch nicht sagen.

„Was tun wir jetzt?!“

„Duschen!“, sagt Truckerboy, deutet auf ein abgefucktes Gebäude und wirft mir meine knallpinken Plastikflip-Flops aus dem Türkenladen zu. (Es ist gar nicht mal so einfach im November in Salzburg halbwegs günstige Flip-Flops zu finden, nur mal so am Rande)

Die Dusche ist sauber und heiß und wunderbar, hat leider keine Steckdosen, also bin ich wieder mal mit nassen Haaren draußen unterwegs, ich rechne schon nur mehr mit der schlimmsten Grippe.

Wir rauchen und schauen über rostigen Stacheldraht, Kräne und Schutt abwechselnd aufs Meer und unseren Truck, der jetzt, nur mehr Zugmaschine ohne Trailer, mickrig, kastriert und einfach nur komplett scheiße aussieht.

„Keine Sorge, der bleibt nicht so!“, sagt Truckerboy und schickt mich spazieren und fotografieren, während er den neuen Trailer sucht und anhängt. Ich klettere also im Hafengelände herum, mache Fotos von Containern, Müll, rostigem Stacheldraht, versuche, mich von den Kameras fernzuhalten, immer in Panik, dass irgendein Security kommt, mich der Werkspionage oder Ähnlichem bezichtigt, mich einkassiert oder noch schlimmer, das Handy, mit dem ich alle Fotos mache, konfisziert. Ich hab zwar die Spiegelreflex mit, sie wäre mir aber zu auffällig. Als dann wirklich einer der Wachmänner auf mich zukommt, bleibt mir fast das Herz stehen, er ist aber nett, sagt mir nur, dass ich aufpassen soll, dass ich nicht von den ganzen Truckern überfahren werde, bittet mich, eine Warnweste anzuziehen.

Truckerboy winkt auch schon, ich will aber noch nicht weiterfahren, bummle also weiter durch die Gegend, er kommt mich holen, als schon das nächste Hafenpolizeiauto auf mich zugeschossen kommt, das Fenster runtergelassen wird und mich eine Frau anschreit : „What are you guys doing here, wandering around without any higher business!“, Truckerboy to the rescue, murmelt irgendwas von „Trailer“ und „already on our way!“ und zieht mich an der Jacke zum Truck. Wir fahren wieder.

„Ist der jetzt leer?!“, frage ich, als wir Holyhead wieder verlassen. Truckerboy nickt und gibt sich mystisch, als ich frage, was da wann und wo wieder reinkommt. Er sagt nur, dass wir morgen drei Ladestellen haben und sagt erstmals das magische Wort: Sammelgut.

„Was ist Sammelgut!?“, will ich wissen.

„Na, was wird Sammelgut wohl sein, Frau Germanistin!“, lacht Truckerboy und fährt auf engen, hügeligen Straßen durch die Pampa, zu dem Ort, den er heute für unsere Übernachtung ausgesucht hat. Ein Stausee im Snowdonia Nationalpark, sein absoluter Lieblingsort in Großbritannien, er schwärmt davon, seit wir uns kennen. Der Weg dahin führt vorbei an weiteren Schafherden, es müssen tausende Tiere sein, die da hinter verwitterten Steinmauern neben der Straße grasen. Die Strecke wird immer enger und steiler, die Berge ringsum höher. Wir telefonieren nebenbei über die Freisprechanlange mit Truckerboys Kollegen G. Der ist gerade in Tschechien unterwegs und kommentiert alles, was er sieht.

Generell sind die Trucker echte Waschweiber, sie telefonieren ständig miteinander, erzählen sich den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Firma, von Speditionen und Autohöfen. Der Umgangston ist rau, es geht viel um Weiber.

G. unterbricht Truckerboy, schreit: „Wart. Jetzt muss i mi konzentrieren, da kommen jetzt die Nutten!“ und lacht und drückt auf die Hupe. Sie ist extra getuned, lässt einen koketten Pfeifton los.

Die Fahrer nennen das Türkenpfeiferl, benutzen es für Frauen. „Da lacht sie!“, sagt G. „ Die ist eine liebe, die steht da immer, die kennt mich, der hupe ich immer. Denen ist ja auch fad, da im allein in der tschechischen Pampa!“. Truckerboy lacht, ich lache auch, sehe darin keinen Sexismus (mehr?) sondern nur einen kurzen Moment der humorvollen Begegnung zwischen zwei Menschen, deren Job scheiße und hart ist, denen ein kleines Lächeln nicht schadet, um sie auch nur für einige Sekunden aus dem Alltag zu reißen. Rund um uns türmen sich immer mehr die Snowdonia Berge auf. Der Empfang reißt ab, wir lassen G. Mit seinen Mädels allein.

Am Abend

Und dann sind wir da. An Truckerboys geliebtem Stausee. Nach ein paar Tagen nur Verkehr und Industrie ist die plötzliche Stille fast erschlagend, aber sehr berührend, der starke Wind zwar kalt, aber richtig wohltuend.

Nationalpark

Wir hüpfen über eine Mauer und kämpfen uns durch moosige Vegetation zum Wasser, klettern auf Steine, rauchen schweigend und genießen einfach nur die Atmosphäre. Es ist wie, aus der Zeit gerissen, auch wenn uns nach zehn Minuten der Hunger zurück in den Truck treibt, es reicht aus, um die Natur vollkommen aufzunehmen, wieder Kraft zu finden.

Truckerboy brät uns 4 Filetsteaks vom Salzburger Jungrind und Gemüse auf dem Gaskocher, wir trinken wieder belgisches Bier und genießen einfach die Ruhe.

Später wird es stürmisch, kalt und stockfinster. Rund um uns ist nichts, nur Berge, See und eine Straße, die aber kaum befahren wird. Nur am Hang gegenüber ein einsames Licht. Truckerboy klettert in der Dunkelheit noch einmal zum See um dort unser Geschirr abzuwaschen und als ich später beim Rauchen einem Tier mit der Taschenlampe in die Augen leuchte beschließe ich, dass ich mich nicht mehr nach draußen wage, sondern schlafen gehen muss.

Es ist 20:00, wir sind 567 Kilometer gefahren und der Wecker klingelt um halb 4.

Ihr wollt die ganze Reise nachlesen? Do it!

#1 Prolog: Die Truckerbraut: Viertausendundzehn Kilometer

#2 Tag 1: Mit dem LKW von Salzburg nach Wales und zurück

#3 Tag 2: „Ums Verrecken könnt ich keine Tiere durch die Gegend fahren!“

# 4 Tag 3: “Jetzt wartets. I muss mi konzentrieren. Jetzt kommen die Nutten!“

# 5 Tag 4: „Weißt, ich bin ja echt einiges gewohnt. Aber das war die ekelhafteste Dusche meines Lebens!“

# 6 Tag 5: „Das machen sonst nur die im Uboot!“

#7 Tag 6: “Wer eine Warnweste trägt, gehört dazu!”

Ähnliche Beiträge

Unsere Autorin hat aufgehört, sich die Beine zu rasieren. Was sie dabei Tag für Tag fühlt, hat sie zu Papier gebracht.
Wir haben eine Liste jener Dinge angefertigt, mit denen du dich identifizieren wirst, wenn du in Salzburg aufgewachsen bist.
Wäsche, Wischen und Geschirr sind nach wie vor unlösbare Gleichungen für uns. Deswegen haben wir ein paar erfolgsversprechende Dinge ausprobiert.

Lass uns Freunde werden!

Möchtest du regelmäßige Tipps von Fräulein Flora erhalten? Dann melde dich hier zum Newsletter an.

Um die Registrierung abzuschließen, senden wir dir eine Email zu.

Dieser Newsletter informiert euch über alle möglichen Themen in Salzburg. Ganz viel geht es dabei um Essen und Trinken, Sport. Abenteuer, Ausflüge, Menschen, Orte und Geschichten in der Mozartstadt. Informationen zu den Inhalten, der Protokollierung eurer Anmeldung, dem Versand über den US-Anbieter MailChimp, der statistischen Auswertung sowie Ihren Abbestellmöglichkeiten, erhaltet ihr in unserer Datenschutzerklärung.