Schiaches Salzburg: Queeres Salzburg

Wie war das früher mit dem Queersein in Salzburg?

Long time, no read. Dabei wär‘ seit meiner letzten Geschichte hier einiges passiert. Beispielsweise wird aktuell eifrig darüber diskutiert, wer die „Normaldenkenden“ in Österreich sind. Weiters ist im Juni der Hashtag „Stolzmonat“ als rechts-konservative Gegenreaktion auf den Pride Month getrendet.  Ein Terroranschlag auf der Wiener Pride Parade wurde vereitelt. Und: Mit voller Herbert-Boomerpower wurde ein Anti-Gender-Volksbegehren durchgebracht, das nun im Nationalrat behandelt wird.

„This is fine… everything is fine…“, möchte man sich da mantra-artig zur Beruhigung vorsagen, während gefühlt um sich herum alles brennt.

Ist der Bronzezeitmensch progressiver gewesen als heute so manche Spitzenpolitikerin?

Angesichts dessen liegt es also relativ nahe, sich anzuschauen, woher dieses neu aufgeflammte  Ultrakonservativ-Denken gegen genderqueere und allgemein andersartige Menschen kommt und wie es mit der Diversität in Salzburg jenseits von Ampelpärchen und neuen Regenbogenzebrastreifen eigentlich so aussieht. Auch nach dem offiziellen Pride Month irgendwie wichtig bzw. vor dem Pride Festival im September. Aber first things first, denn eigentlich beginnt dieser Text schon im Februar 2023. Rückschau is key, auch fürs Gegenwartsverständnis.

Im Rahmen des von Magistratsseite arrangierten „Monats der Vielfalt“ wurde im Salzburg Museum eine Führung zum Thema queere Geschichte(n) in Salzburg organisiert.*

 

Wie war das früher mit dem Queersein in Salzburg?

Ist der Bronzezeitmensch progressiver gewesen als heute so manche Spitzenpolitikerin? Waren uns die Barocksalzburger in Sachen Offenheit voraus? Bei Beginn der Führung sagt sogar der Experte vom Salzburg Museum: „Es war gar nicht so leicht, Quellen  zum Thema ‚Queerness in der Salzburger Geschichte‘ zu finden“. Immerhin sei die eigentliche Aufgabe eines Museums – das Konservieren, Einordnen und Kategorisieren – ein Widerspruch zu queeren Merkmalen wie Offenheit und Vielfalt. Später fällt dann oft noch der Satz, dass „Lücken oft mehr Aufschluss“ geben, als die tatsächlichen Funde aus einem bestimmten Zeitraum. Verstecken und wegschweigen: Man könnte es als exemplarisch für den Umgang mit Minderheiten in Salzburg betrachten.

(Die Führung „Queere Geschichte(n) fand im Rahmen der Ausstellung „Salzburg unique“ statt.)

Das Flinserl als Stachel im wertkonservativen Fleisch

That said: Es ist trotzdem gelungen, anhand ausgewählter Objekte ein kleines Fenster in die queere Vergangenheit Salzburgs zu öffnen. Eindeutige Kategorisierungen und vor allem Benennungen der Objekte sind allerdings enorm tricky, unterliegen sie doch einem Wandel an sprachlichen und soziologischen Konnotationen.

Ein Beispiel dafür ist ein Portrait von Maximilian I von Bayern mit einem Ohrring. Damals, zur Entstehungszeit des Gemäldes, wurde der Ohrring von Vertretern der Aufklärung getragen und war ein Symbol für Rationalität, Progressivität und gegen althergebrachte Dogmen. Erst viel später wurde der Ohrring zum Erkennungszeichen unter Homosexuellen.

So oder so, sieht man: Das Flinserl im Ohr war anscheinend immer schon ein Stachel im wertkonservativen Fleisch.

(Dick oder dünn: Alle Kannen sind schön.)

Das „kleine Rot“

Speaking of „Fleisch“: Mit der Fleisch-Farbe Rosa verhält es sich ganz ähnlich, was den Wandel im damit Assoziierten betrifft. War es vor 200 Jahren noch das „kleine Rot“ als Farbe für Prinzen, die für Loyalität und Mut stand, wurde es erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur dezidiert weiblich gelesenen Farbe. Die damit einhergehende Schmähung (siehe rosa Dreieck für homosexuelle KZ-Häftlinge) ist eine andere Geschichte, die an dieser Stelle allerdings nicht unerwähnt bleiben kann…

Nicht nur Kleidung und Farben unterliegen binären Bedeutungszuschreibungen, auch die Wahrnehmung von Kriminalität bedient Geschlechterklischees, wie die folgende Geschichte zeigt:

Golddigger anno 1540

Im Jahr 1969 fand man in Werfen beim Umbau der Hauptschule einen Topf mit Münzen. Sehr alten, sehr wertvollen Münzen (Datum ca. um 1540). Dazu Metall-Späne und -Staub. Letzteres ist ein eindeutiger Hinweis auf kriminelle Energie, denn zu jenen Zeiten war es eine nicht seltene Praxis von Gold- und Silbermünzen kleine Mengen abzuschaben, sich Staub und Späne der Edelmetalle zu behalten und die wertgeminderten Münzen dann wieder in Umlauf zu bringen. Lange gingen Archäolog:innen davon aus, dass es sich beim Übeltäter hier um einen Mann gehalten haben muss. Warum? Ist halt meistens so. Später wurde allerdings am Alter der Münzen festgestellt, dass das Grundstück, auf dem der Goldschatz gefunden wurde, damals eindeutig im Besitz einer Frau war. Ob sie die Rädelsführerin war, kann nicht bewiesen werden, aber eine Mitwisserinnenschaft steht immerhin im Raum…

(Frau, du hast das Gold gestohlen…)

Was haben die Lehner Brücke und der Alte Markt gemeinsam?

Beide waren vor ein paar Jahrzehnten noch nach Erzherzog Ludwig-Viktor, dem kleinen Bruder von Kaiser Franz und vermutlich schillerndsten Habsburger benannt. Jener wurde im Jahr 1861 von Wien nach Salzburg verbannt. Warum? Erstens beefte er sich mit Kaiserin Sisi und zweitens brachte er mit seiner künstlerischen Begabung und vermeintlichen Homosexualität Schande über den Hof. Für Salzburg war das in Retrospektive ein riesiges Glück, denn kein Habsburger davor oder danach tat in karitativer Hinsicht so viel für Salzburg wie Ludwig-Viktor. Direkte monetäre Hilfe für die Opfer des Hochwassers von 1899, Obdachlosenspeisungen und Studien-Freiplätze sind nur einige Beispiele hierfür. Um dies zu würdigen, benannte man die heutige Lehner Brücke und den Alten Markt nach ihm.

„Salzburg ist eine perfide Fassade…“

Abschließend noch zu jemandem, der mit Salzburg nicht ganz so arg in Liebe verbunden war: Thomas Bernhard. Sein 1-Sterne-Google-Review über die Stadt Salzburg: „Salzburg ist eine perfide Fassade, auf welche die Welt ununterbrochen ihre Verlogenheit malt und hinter der das (oder der) Schöpferische verkümmern und verkommen und absterben muß (sic)“. Unter „Schöpferisches“ meint er alles Aus-der-Norm-Fallende, Andersartige und irgendwie Auffällige. Eigenschaften, die man eindeutig als „queer“ lesen könnte.

Detail am Rande:  Bis 1971, also noch zu Lebzeiten von Thomas Bernhard, galt Homosexualität als strafbar. Das muss man erst mal sacken lassen.

(Will ich auch.)

Woher kommt nun die neue Welle an Ablehnung gegenüber queeren Menschen?

Man kann niemanden zu Offenheit, Toleranz und Empathie zwingen.

Werden Herbert und Renate – aufgewachsen zu Zeiten, in denen Homosexualität noch strafbar war – im Alltag damit nun vermehrt damit konfrontiert, fühlen sie sich ertappt. Der Unmut darüber, dem nicht aus dem Weg gehen zu können, wächst. Plötzlich sind sie die Andersartigen. Und das ist natürlich unangenehm. Ein Anti-Gender-Volksbegehren, ein ironiefrei genutzter „Stolzmonat“-Hashtag und eine Diskussion über die Normalitätshoheit sind die Folge.

Und nun? Reicht eine cool gemachte Ausstellung, um in den Köpfen was zu ändern? Oder ein Vielfaltsmonat? Oder ein neuer Regenbogenzebrastreifen mit Ampelpärchen, das auf Instagram liab ausschaut? Nein, reicht nicht. Nur: So lange das zur Folge hat, dass eine öffentliche Debatte stattfindet und Leute nicht akzeptieren, ins abnorme Eck gedrängt zu werden, sind wir auf einem okayen Weg.

Als Teil einer marginalisierten Gruppe schimpfen, laut und sichtbar sein:  Das würd‘ vielleicht sogar den Thomas Bernhard freuen.

(*Disclaimer: Die Führung „queere Geschichte(n fand im Rahmen der Ausstellung „Salzburg Unique“ statt, die nach wie vor im Salzburg Museum besichtigt werden kann.)

 

Alle Fotos: Schiaches Salzburg

Schiaches Salzburg” ist unser Außenposten fürs Unangenehme und bringt laufend neue Krach- und Sachgeschichten aus SBG.

Gefunden haben wir diesen Account auf Instagram, wo er als @schiaches.salzburg die halbschattigen Seiten der Stadt herzeigt. Was es dort gibt? Found objects, Kurioses aus dem öffentlichen Raum und andere schiache Sachen aus der schönsten Stadt Österreichs. Immer mit im Gepäck? Gesunder Grant, absurder Humor und Sinn für Unsinn.

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