Von einer Lungenentzündung auf vier Quadratmetern über Frostbeulen im spanischen Baskenland bis zum Corona-Lockdown in einer leeren Wohnung. Unsere Autorin Luisa hat in den letzten Jahren so ziemlich alles erlebt, was man in Sachen Wohnen erleben kann. Und in einer sechsteiligen Kolumne ihre Erinnerungen für uns aufgeschrieben.
Hier geht es zu Teil 1: “Ich kann’s mir nicht mehr verkneifen“
Hier geht es zu Teil 2: “Du schaust scheiße aus”
Hier geht es zu Teil 3: “Dann eben mit Rum”
Hier geht es zu Teil 4: “Kältebeulen für die radikale Autonomie”
Hier geht es zu Teil 5: „Corona Lockdown?“
TEIL 6: EXKURS: KANI
„Gehen da zwei Hühner durch die Küche?“
Wie oft kommt man schon auf die Elfenbeinküste? 2018 machten wir uns auf den Weg, die nahe und entfernte Verwandtschaft meines Freundes zu besuchen, denn wir wurden schon seit langer Zeit sehnlichst erwartet. Ein Monat hieß es, sei die Mindestauflage – na gut, das würde dann wenigstens ausreichen, um das dortige Leben etwas kennezulernen – jedenfalls für einen ersten Besuch. Heute bin ich mir sicher, dass das nicht stimmt.
Am 20. Dezember kamen wir müde, aber gut gelaunt in Abidjan an. Der älteste Bruder holte uns mit einem dicken Auto ab. Gleich zwei Tage später ging es nach Kani, dem Heimatdorf der Verwandten meines Freundes. Eine Route die man eigentlich, laut Routenplaner, in sechs Stunden zurücklegen konnte, verzögerte sich in Realità um weitere fünf Stunden. Grund dafür waren diverse Schlaglöcher, die man selbst mit dickem Auto besser in Schlangenlinien umfuhr.
Und es schlängelte sich ohne Unterlass. Schlecht wurde mir ja eigentlich nicht so häufig auf einer Autofahrt, diese war jedoch eine Ausnahme. Nachdem wir um ca. 5 Uhr starteten und um 8 Uhr bananes plantain am Wegesrand erstanden hatten, drehte sich mein Magen zunehmend mit jedem Ausweichmanöver.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lenkte unser Auto nach Kani ein und langsam fuhren wir durch das Dorf, das mit Stolz seine Häuser präsentierte. Zunächst wurde ich jedoch von einer Gruppe Ziegen abgelenkt, die in lässigster Position eine alte Autokarosserie für sich ergattert hatte. Eine chillte auf der Motorhaube, eine schielte aus dem Kofferraum, die dritte richtete sich gerade auf dem Rücksitz ein und die vierte schien vollsten Elans den Motor starten zu wollen. Coucou – hallo.
Beim Haus der Familie wartete schon ein Cousin mit – wie viele waren es noch? – jedenfalls vielen Kindern unterschiedlichster Größe auf uns. Mit der Begrüßungskohorte hielten wir Einzug, stellten unsere Sachen ab und gingen auch schon wieder hinaus, um bei einigen Bewohnern*innen vorbeizuschauen und unsere Ankunft zu verkünden. Jedes Mal Schuhe aus, eine Geste der Begrüßung und viele Worte, die ich nicht verstand. Einfach machen, was die anderen machen, so lautete meine Devise.
Kaum zurück, kamen die vielen Kinder des Cousins bei der Tür herein. Eines nach dem anderen ging an mir vorbei. Sie setzten sich direkt auf die gegenüberliegende Couch und schauten mich an. Und sie schauten und schauten. Verlegen lächelte ich und nach und nach kam auch ein Lächeln zurück. Bruder und Schwägerin, die mit uns aus Abidjan kamen, waren selbstredend weniger beeindruckt – weder von mir noch umgekehrt von den Kindern – und meinten es sei Zeit zu duschen.
Dazu wurde kübelweise Wasser geholt und in einem riesigen Fass in der Küche abgefüllt. Dort standen weitere Töpfe in Übergröße und kleine Kübel bereit. Unter dem Herd wurden die Gasflaschen angezapft und das Wasser in den großen Töpfen gewärmt. Sodann überreichte mir die Schwägerin zwei kleine Plastikkübel – einen mit warmem Wasser und einen mit kaltem. Die Mischung musste man sich dann selbst machen. Ich stand also in der Dusche, begoss mich mit den Kübeln und schrubbte mich mit einem Lappen sauber.
Später überzogen wir das Bett und montierten sorgsam ein Moskitonetz darüber – ohne dem ging nichts. Als ich wieder in Richtung Eingangszimmer ging, hörte ich ein Tapsen in der Küche. „Gehen da zwei Hühner durch die Küche?“ Gemütlich stolzierten die beiden auf und ab. Verwirrt machte ich mich auf die Suche nach meinem Freund. Der lächelte milde und meinte, sie seien ein wertvolles Geschenk des Onkels von vis à vis. In ein paar Stunden würden wir sie essen. „Ach – ok“.
Von wegen Stunden. Keine fünfzehn Minuten dauerte es, bis ich im Hinterhof sämtliche Kinder vorfand, die mich anlächelten, während sie gewissenhaft Federn rupften. Übrigens: Die Hühner wurden dort auch liebevoll poulet bicyclette genannt, „Radhuhn“ frei übersetzt. Der Name deutet auf ihren muskulösen, drahtigen Körperbau hin, der beim Verzehr einen kräftigen Biss erfordert. An diesem Abend hatten wir jedenfalls ausreichend davon. Am nächsten Morgen wurde der Rest mit Bohnenbeilage serviert. Bon appetit.
Kleiner Kolumnenachtrag
Meine Wohnversuche waren situationsgebunden durchaus keine Dauerlösungen, aber sie eröffneten mir neue Blickwinkel. Tatsächlich es gibt viele Arten zu wohnen und ich wäre heute unfähig, irgendetwas als Standard zu beschreiben, wenngleich ich, Wärme sowie eine nahe Toilettenmöglichkeit nie zuvor derart wertzuschätzen wusste, wie in den letzten Jahren. Was noch kommt? Wenn ich etwas aus all den Umzügen und Aufenthalten gelernt habe, dann, dass es erstens anders kommt und zweitens, als man denkt. On verra.