#1: In der Getreidegasse wüten die Kinder der Jacklbande
Der Schinderjackl war eine Gestalt aus dem 17. Jahrhundert, der sich eine Bande aus Landstreichern und Waisenkindern anlachte und stehlend und plündernd durch Salzburg zog. Und weil bekanntlich alles nicht Greifbare zum Mythos wird, wurde der junge Jackl, der sich partout nicht erwischen ließ, der Zauberei bezichtigt.
Und weil er trotzdem immer noch nicht gefunden wurde, begann die Hetzjagd auf die ganze Jacklbande. Unter der Folter im Rathaus der Stadt Salzburg bekamen die Behörden von den geständigen Kindern schließlich zu hören, was sie hören wollten. Zu allem Ärgernis blieb der Big Boss trotzdem verschollen. Die Folter ging an den Seelen der Kinder nicht spurlos vorbei. Noch heute sollen ihre Geister in der Getreidegasse Tourist*innen und Einheimische an den Ärmeln zerren und sie necken.
#2: Auf der Festung richtet eine Frau über unser Schicksal
Wo eine Burg, da ein Gespenst. So auch in der Festung Hohensalzburg. Eine Frauengestalt in weißen, wallenden Gewändern soll durch die endlosen Gänge wandeln und ihr Erscheinen schwere Zeiten voraussagen. In jüngster Zeit wurde jene Gestalt aber nicht mehr gesichtet – vielleicht deshalb, weil ihr Job, eine Krise zu prophezeien, sich hierzulande von selbst erübrigt hat.
#3: Der letzte Henker in Salzburg gibt immer noch nicht Ruhe
Franz Joseph Wohlmut war der letzte Scharfrichter Salzburgs und hatte eine gewaltige Karriere hingelegt. Mehr als 90 Exekutionen, penibelst in einem Buch vermerkt, führte er sauber aus. Nur im Alter unterliefen ihm einige Kunstfehler und die musste er mit Gefängnisstrafen verbüßen. Weil sich die Salzburger*innen über die vermodernden Leichenteile in der Schallmooser Hauptstraße beschwerten, wurde der Richtplatz schon 1599 von dort nach Gneis verlegt.
Auch Wohlmut bewohnte einen Hof in der Neukommgasse 26, nahe des Richtplatzes, damit sein Arbeitsweg kürzer war. Der Hof steht heute noch, außerdem erinnert noch das Hotel Hölle an die grauselige Vergangenheit der Gegend. Und obwohl Wohlmuts Hof nach und nach dem Verfall zum Opfer fällt, scheint Salzburgs letzter Henker dort nachts immer noch sein Unwesen zu treiben.
#4: Im Untersberg hausen Männchen
Sie werden Untersberger Mandln genannt. Viele Geschichten ranken sich um die zwergenähnlichen Gestalten. Man sagt, dass sie den Kaiser Karl, oder wahlweise Friedrich Barbarossa, versorgen und deren Schätze bewachen. Diese Majestäten ruhen nämlich im Untersbergmassiv und warten entweder darauf, dass keine Raben mehr um den Berg kreisen (Karl), oder dass ihr Bart dreimal um einen runden Tisch gewachsen ist (Barbarossa).
Trifft einer der beiden Fälle ein, geht es nicht nur mit Salzburg bergab, sondern gleich mit der ganzen Welt. Während keiner dieser Fälle jedoch bisher eingetroffen ist, wachen die braven Untersberger Mandln weiter und besuchen als eifrige Kirchgänger um Mitternacht den Salzburger Dom.
#5: Salzburg hat sein eigenes Rumpelstilzchen
Und es heißt Hahnengickerl. Wir wissen leider nicht, wer hier wem die Story klaut. Jedenfalls gibt es da eine alte kranke Frau und sie kann nur geheilt werden, wenn sie den Namen ihres Heilands nicht vergessen hat.
Wie es das dramatische Moment des Märchens üblicherweise will, hat sie das natürlich. Wäre da nicht ihre Tochter, die durch den Wald strawanzt und das Hahnengickerl beim sich selbst feiern erwischt und den Namen aufschnappt. Und siehe da, ist die Mutter geheilt und lebt glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Dass das Hahnengickerl eines der Untersberger Mandln ist, gibt der Salzburger Version natürlich mehr Glaubwürdigkeit, als dem Allerweltsmärchen.
#6: Beim Seewaldsee schaut ein nicht sehr keuscher Mönch aus dem Feuer
Beim Seewaldsee in St. Koloman gibt es eine Kapelle, die dem Heiligen Wilhelm von Aquitanien geweiht ist. Der Patron der Waffenschmiede hat nach elf Kindern als Vater ausgedient und ein Kloster gegründet. Die kleine Kapelle am Seewaldsee fiel im 17. Jahrhundert den Flammen zum Opfer. Wilhelm höchstpersönlich soll laut Augenzeugenberichten im Feuer erschienen sein.
#7: Der Schuppenmann in der Hofstallgasse dreht Pirouetten
Natürlich heißt er nicht Schuppenmann. Aber welcher Name ist passender für einen Mann, der von Kopf bis Fuß mit Schuppen bedeckt ist? Legenden erzählen sich, dass die Erzfigur sich jedes Jahr einmal um die eigene Achse dreht, am Karfreitag zur Mittagsstunde. Der Haken an der Sache ist, dass eigentlich noch niemand jemals Zeuge dieser Pirouette wurde.
#8: Maria wollte nicht brennen
In der Geschichte geht es um das Marienbild in der Kirche Maria Plain. Schon seit längerem weiß man, dass Maria Plain ein besonderer Kraftort ist. Das findet man sowohl in einschlägigen Esoterikforen, sowie in etwas einschlägigerer Fachliteratur. Das Marienbild selbst war ursprünglich im Besitz eines Bäckers und hat das Feuer der Schweden im Dreißigjährigen Krieg unbeschadet überstanden. Seitdem ist es von Hand zu Hand des noblen Klerus gewandelt. Bis es seine Ruhe in der Plainkirche gefunden hat.
#9: Der Teufel hat im Mirabellgarten die Pfarrersköchin vergewaltigt
Und deshalb ist der Springbrunnen, Sommer wie Winter allseits beliebt als Fotohintergrund, unverrückbar.
#10: Im Untersberg verliert man Raum und Zeit
Die versuchen, den Mythos der Zeitentrückung in den Gängen des Unterbergs mit einer Verwerfungszone in der Mittagsscharte zu erklären, die die Zeitqualität beeinflusst. Das sagen auch die Geologen.
Die Märchen versuchen es damit, dass Tore in das Zwergenreich des Unterbergs hineinführen und die Menschen reich beschenkt werden. Oder dass sie in eine andere Dimension verschwinden. Wir haben jedenfalls bisher keine andere Dimension entdeckt, als wir zufrieden unsere Jause am Salzburger Hochthron verdrückt haben.