[Kommentar] Stillen: Wer liebt, der leidet!

Einige Stunden nach der Geburt meines Kindes schlurfe ich im Nachthemd durch die Gänge der Geburtenstation, mein brandneues Kind am Arm. Das Ziel: der Pumpraum. Als ich die Türe öffne, ist drinnen bereits eine Frau am Werk. Sie hat den Oberkörper frei und an beiden Brüsten eine Milchpumpe angehängt. Ihr Kind schläft im Stubenwagen neben ihr. Die beiden Milchflaschen, die von ihren Brüsten baumelten, sind randvoll.

Die Frau schaltet die Pumpe aus und das surrende Geräusch stoppt. Mit müden Augen nimmt sie zwei neue Flaschen, setzt sie an ihre Brustwarzen und das Spiel beginnt von vorne. Auch ich bin hundemüde, so wie sie. Trotzdem muss ich innerlich lachen und an den Kuhstall meiner Tante denken. Was ich noch nicht weiß: Bald werde auch ich meine Vormittage an der Pumpe verbringen oder in pumpfreien Zeiten mein Kind an die Brust legen. Denn wenn ich es nicht tue, muss es leider verhungern.

Dieser Beitrag wurde 2021 veröffentlicht. Beim zweiten Kind ging's mit dem Stillen wesentlich einfacher und TROTZDEM war der Anfang irgendwie eigenartig und fremdbestimmt. Komisches Thema insgesamt.

Das Stillen ist wie so ziemlich alles, was mit Geburt und Neugeborenen zu tun hat, eine sehr individuelle Angelegenheit. Bei manchen Müttern funktioniert es von Beginn an prächtig und die Milch sprudelt nur so, dass sie ein ganzes Dorf versorgen könnten. Bei anderen dauert es eine Weile, bis sich nach ein paar Tagen alles eingependelt hat. Bei manchen Frauen aber kann das Stillen zu einer regelrechten Qual werden. Rückblickend würde ich mich zur letzteren Gruppe zählen.

Mein Stillbeginn war nicht etwa holprig, er war extrem schmerzhaft. Wir beide, mein Kind und ich, hatten trotz Stillberatung keine Ahnung, was wir da taten. Obwohl ich mir fest vornahm, es mit dem Stillen hinzubekommen, wollte es einfach nicht so richtig klappen. Ich las Bücher, besuchte die Stillgruppe im Krankenhaus, begann als alte Homöopathieleugnerin sogar Globoli einzuwerfen. Trotzdem verwandelten sich meine Brüste nach wenigen Tagen in offene Fleischwunden, an denen alle paar Stunden ein hungriges Kind saugte. Vor allem in der Nacht wurde meine Angst vor dem Stillen so groß, dass ich tränenüberströmt im Bett lag und lautlos weinte, um meinen Mann nicht zu wecken. Zu den extremen Schmerzen kam die psychische Belastung. Denn ich war mir sicher: Wenn es mit dem Stillen nicht klappte, dann hätte ich als Mutter versagt.

Nur stillende Mütter sind gute Mütter

Zumindest war mir das seit Beginn meiner Schwangerschaft von allen Seiten eingetrichtert worden war: Zuerst erzählte es die Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs, dann die Nachsorge-Hebamme, dann meine Verwandten und zwischendurch immer wieder wildfremde Mütter, online und offline. Vor allem Instagram überflutete mich mit Bildern der perfekten Mutter, die, in weiße Hosen gehüllt, in die Kamera stillt und die intime Zeit mit ihrem Kind genießt. Ich recherchierte und fand immer wieder dieselben fragwürdigen Langzeitstudien, die das Stillen als einzig richtiges Fundament für eine gesunde Entwicklung präsentierten. In meinem hormondurchfluteten Postpartum-Hirn setzte sich ein Gedanke fest: Wenn du nicht stillst, kannst du die Zukunft deines Kindes gleich in die Tonne treten. Was ich dagegen nie und von niemandem gehört habe: Stillen ist toll, wenn es klappt. Und wenn es nicht klappt, dann wird auch alles gut.

Seltenes "Lächeln" beim Stillen.

Stillen ist (auch) ein Trend

Dabei ist das Bild vom Stillen als einzig richtigem Modell selbst dem historischen Wandel unterworfen. Dass Stillen nicht immer en vogue war, zeigt uns die Geschichte. In den 1950er-Jahren etwa war die Stillsituation zum Beispiel eine ganz andere. Stillen war nicht nur vielen Frauen egal, es wurde sogar oft davon abgeraten. Bis sich eine Gruppe an Müttern zusammenfand, denen das Thema wichtig genug war, um für den gesellschaftlichen Status der Muttermilch zu kämpfen. So steht es zumindest auf der Webseite der La Lèche League. Wer sich etwas genauer mit dem Thema auseinandersetzt, kommt an dieser Gruppierung nicht vorbei, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts Lobbying für das Stillen betreibt. Dabei ist sie sehr erfolgreich, denn heute ist das Stillen als optimale Form der Ernährung für Neugeborne unumstritten. Das ist vor allem in Schwellenländern wichtig, wo oft kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht und Flaschennahrung tatsächlich gesundheitsgefährdend sein kann. Sogar die WHO sagt: Sechs Monate vollstillen und dann zwei oder mehr Jahre weiterstillen – that’s the way to go. Na bumm, denke ich. Zwei Jahre! Da spielte Mozart vermutlich schon Klavier.

Weder meine Mutter noch meine Hebamme hatten mit nach vielen Qualen offen gesagt, dass es auch eine andere legitime Möglichkeit gab, mein Kind schmerzfrei zu ernähren.

Stillen ist … Ja, was eigentlich?

Absurderweise hat gerade diese positive Entwicklung jedoch zu einer Situation geführt, die Frauen massiv unter Druck setzen kann. Dann nämlich, wenn sie aus unterschiedlichen Gründen nicht stillen wollen oder können. Und während Frauen, die in der Öffentlichkeit für ihr Stillen kritisiert werden, meist andere Frauen hinter sich wissen, stehen Frauen, die ihrem Kind das Fläschchen geben, ziemlich alleine da. Zumindest empfand ich das so. Weder meine Mutter noch meine Hebamme hatten mir nach wochenlangen Qualen offen gesagt, dass es auch eine andere legitime Möglichkeit gab, um mein Kind schmerz- und stressfreier zu ernähren. Diesen Ausweg zeigte mir ausgerechnet mein Ehemann.

Der Tag, an dem ich meinem Mann fast den Kopf abgebissen hätte

Als mein Mann nach einiger Zeit anbat, Pre-Nahrung, also Flascherl-Nahrung fürs Baby, zu kaufen, wurde ich fast hysterisch. Alles in mir sperrte sich gegen den Gedanken, mein Kind mit dem „chemischen Zeug“ zu füttern, nur, weil es mir dann besser ginge. Schlussendlich hielt er es nicht mehr aus, mich so leiden zu sehen und wir fanden einen Kompromiss: ein bisschen so und ein bisschen so. Den anderen Müttern in meinem Umkreis erzählte ich schamerfüllt nichts davon. Schließlich würde ich meinem Kind damit zahllosen Risiken aussetzen, behauptete zumindest das Internet. Doch es kam anders: Die Stillbeziehung mit meinem Kind verbesserte sich durch die Beikost und dauerte schließlich acht Monate – zwei davon absolut unterirdisch und sechs solala. Als das Stillen dann sehr natürlich ein Ende fand, war ich stolz. Für mich fühlte es sich an, als hätte ich einen langen, harten Kampf gewonnen. Einen schmerzhaften noch dazu. Ich war stolz, weil ich meinem Kind alles gegeben hatte, was mir irgendwie möglich war. Dass achte Monate nicht genug waren, zeigten mir allerdings die Reaktionen von Bekannten und Verwandten. Besser wäre es gewesen, noch lange lange weiterzustillen.

 

Wie Frau es macht, macht Frau es falsch

Ich wurde ganz oft dafür belehrt, warum ich nicht gut stillen konnte und was ich hätte anders machen sollen. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht auch am Gegenteil etwas auszusetzen gewesen wäre. Denn: Auch glücklich stillende Mütter haben es nicht immer einfach. Stillt eine Mutter zu lange, ist das „gestört“. Stillt eine Mutter in der Öffentlichkeit, ist das grauslig. Zieht sich eine Mutter zum Stillen zurück, um ein bisschen Ruhe zu finden, ist das prüde. Wieso ich das weiß? Weil ich die Frauen gefragt habe, die ihre Kinder gern gestillt haben. Ich hab sie gefragt, ob es immer toll war. Und siehe da: Nein, es war nicht immer schön. Manchmal hatten sie das Gefühl, ein wandelnder Milchautomat zu sein oder ein menschlicher Schnuller (ihr wisst, was ich meine). Manchmal wollten sie ihren Körper zwei Stunden für sich haben und nicht immer teilen. Und ab und zu wollten sie wieder ein Leiberl anziehen, ohne den plumpen Still-BH darunter oder miefige Milchflecken. Surprise, surprise.

Fuck dieses soziale Scheiß-Stillkorsett

Das Still-Problem ist bei mir so lange her, dass ich es bis zum Schreiben dieses Artikels mehr oder weniger vergessen hatte. Mehr noch: Wenn ich heute daran denke, welchen Stellenwert dieses Thema in meinem Leben damals hatte, muss ich fast lachen. Im Nachhinein beneide ich Frauen, die sich diese Entscheidung leichter gemacht haben, als ich. Die dem Stillen eine Chance gaben, aber auch rechtzeitig einsahen, dass „Stillen“ und „Liebe“ nicht nur gemeinsam existieren, sondern dass man sein Kind auch lieben kann, wenn es ein Flascherl trinkt. Stillen ist das Normalste der Welt, superpraktisch unterwegs und angenehm in der Nacht. Flascherl ist aber auch geil, wenn es mit dem Stillen einfach nicht klappen will. Weil man diese deppate Milchpumpe los wird. Und weil man sich, anstatt in Angst-Tränen auszubrechen, freuen kann, wenn das Baby aufwacht.

Die Moral von der Geschicht‘? Stillen tut man – oder nicht.

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