Titelfoto: © Tobias Witzgall
Was passiert, wenn man von einem Tag auf den anderen die gesellschaftlichen Erwartungen nicht mehr erfüllen kann? Wenn man – egal, wie sehr man es möchte – nicht mehr so funktioniert, wie man sollte? Weil man nicht mehr kann?
Von diesem Scheitern und Zerbrechen am System handelt ein neues Stück am Salzburger Landestheater, das aktueller nicht sein könnte, obwohl es über 200 Jahre alt ist. Die Rede ist von Prinz Friedrich von Homburg, das gerade seine Premiere gefeiert hat. Eines gleich vorweg: Man muss Heinrich von Kleists Original nicht im Gymnasium gelesen haben, um mit dieser Inszenierung etwas anfangen zu können. Im Gegenteil, vermutlich hilft es sogar, wenn man das Stück noch nicht kennt und ohne Erwartungen ins Theater kommt. Denn der junge Regisseur Johannes Ender und sein Team haben Kleists Theaterstück stark gekürzt, frei interpretiert und sich jene Fragen herausgegriffen, die auch heute für junge Menschen von Bedeutung sind. Was dabei herauskommt, ist starker Tobak. Denn das Stück arbeitet von Beginn an mit albtraumartigen Bildern und Szenen, bei denen es schwer fällt, die Distanz zu wahren. Da lecken angekettete Soldaten auf allen vieren das Blut von der Hand ihres Kriegsherren und ein siechender Herrscher trinkt seine eigene Pisse. Das ist nicht der Kleist, wie wir ihn aus dem Deutschunterricht kennen.
„Träum ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich bei Sinnen?“
Die Handlung des Abends ist schnell erzählt: Prinz Friedrich von Homburg ist ein beherzter junger Offizier und dient seinem Fürsten im Kampf gegen die Schweden. Ein strahlender Held wie aus dem Bilderbuch, möchte man meinen, eine steile Karriere scheint vorgezeichnet. Doch Homburg ist auch ein Phantast und Träumer, der nicht so recht in die starre militärische Ordnung passen will. Er beginnt zu schlafwandeln. Vor der entscheidenden Schlacht überhört er deshalb die Befehle seines Fürsten. Friedrich greift ohne Erlaubnis an, gewinnt die Schlacht und sollte eigentlich belohnt werden. Doch es kommt anders: Der Fürst verurteilt den Prinzen wegen seiner Disziplinlosigkeit zum Tode. Friedrich kann es erst kaum glauben. Während seine Angebetete Natalie versucht, das Herz des Onkels zu erweichen und dabei selbst zur Mörderin wird, verliert Homburg zunehmend den Glauben. Auf Begnadigung hoffen? Weiterleben? Ja, aber wofür eigentlich? Nur um morgen wieder zu töten?
Der ewige Zwang zum Gehorsam
Das diesjährige Motto des Landestheaters lautet: Wir und die anderen. An diesem Theaterabend ist es allgegenwärtig. Auf der einen Seite ein einem unbarmherziges System, in dem kein Raum für Abweichung bleibt. Auf der anderen Seite Menschen wie der junge Prinz oder seine Natalie, die an diesem System ersticken, weil sie nicht mehr mitkönnen oder wollen. Regisseur Johannes Ender betont immer wieder, es ginge ihm dabei nicht nur um das im Stück allgegenwärtige Militär. Denn der Druck und die Erwartungshaltungen an das Individuum, all das hat auch heute seine Bedeutung nicht verloren. Auch, wenn der Zwang zum Gehorsam im Spätkapitalismus nicht in preußischer Uniform, sondern im Wohlfühl-Mäntelchen daherkommt. Da heißt es nicht mehr: „Du musst gehorchen“, sondern „Du kannst alles werden, was du willst“. Aber was ist mit jenen, die nicht mehr können? Oder nicht mehr wollen? Die nicht mehr funktionieren? Für diese Fehler im System steht in Johannes Enders Inszenierung der Protagonist Friedrich. Und es gibt ihn gleich doppelt: Gregor Schulz und Tim Oberließen spielen ihn Schulter an Schulter. Die innere Zerrissenheit des Protagonisten wird durch diesen cleveren Schachzug der Regie sichtbar gemacht. Seine Selbstgespräche werden zum Dialog, sein Ringen mit sich selbst wird zum choreographierten Paartanz. Das wäre alles wunderschön, wenn es nicht so traurig wäre.
Die nächsten Termine im Landestheater sind:
Fr. 21.02.2020 19.30
Uhr
Sa. 22.02.2020 15.00 Uhr
Do. 27.02.2020 19.30 Uhr
So. 01.03.2020 19.00 Uhr
So. 08.03.2020 19.00 Uhr
Mi. 11.03.2020 19.30 Uhr
So. 15.03.2020 19.00 Uhr
Schleichwerbung, nein danke!
Wir nehmen für unsere redaktionelle Berichterstattung niemals Geld an. Werbung gibt es beim Fräulein, aber selten. Wenn wir Werbung machen, steht das außerdem ganz klar im Titel und nicht irgendwo versteckt. In diesem Fall sagen wir DANKE für die gute Zusammenarbeit mit dem Salzburger Landestheater. Gratulation zu diesem Stück!