Worum geht’s im Klassiker „1984“ von George Orwell?
Wir haben den Protagonisten Winston Smith, der in einem absoluten Überwachungsstaat lebt. Alles wird mit Televisoren überwacht, jeder Bürger ist tagtäglich im Auge des Big Brothers. Winston arbeitet für das Ministerium für Wahrheit, in dem Informationen gefälscht werden, Nachrichten gefälscht werden. Aber nicht nur gefälscht, sondern auch rückwirkend bearbeitet.
Was passiert dann?
Eines Tages kauft sich Winston Smith ein Tagebuch, so richtig aus Papier und beginnt, alle Gedanken niederzuschreiben, die nach und nach verbotener werden. Es ist die Erzählung einer Einzelperson, die beginnt, am System zu zweifeln, nicht aus einem großen, sondern aus hundert kleinen Gründen.
Der Auslöser kommt dann durch die Figur der Julia, die bei Orwell keinen Nachnamen hat. Und die mit Winston eine Liebesaffäre beginnt. Auch Julia ist eine Rebellin. Allerdings hat sie kein Interesse daran, das System zu stürzen, sie will nicht die Welt verändern, sie lebt ihre Rebellion nur für sich. Für ihre individuelle Freiheit. Es ist eine Erzählung von zwei unterschiedlichen Formen der Rebellion.
Winston beginnt dann doch, das System zu verändern zu wollen. Das geht natürlich, wie es halt so kommen muss, in einen Bruch über. In einen Bruch, an dem Winston und Julia unterschiedlich scheitern.
Im April schauen wir uns "1984" gemeinsam an. Wir kriegen ermäßigte Karten und eine Einführung vor dem Stück von Tabea herself. Wer mag, kann nach dem Stück mit uns noch diskutieren.
Tabea, du hast das Stück für die Bühne adaptiert. Was hat das Buch aus den 40ern mit heute zu tun?
Wir befinden uns nicht in der Gefangenschaft, das war zu Orwells Zeiten noch anders. Aber auch wir leben uns Privatleben total öffentlich. Wir geben freiwillig wahnsinnig viel Preis von uns und haben das Gefühl, dass immer Augen auf uns ruhen. Das ist nicht nur auf die sozialen Medien beschränkt, das bezieht sich auch auf eine ständige Erreichbarkeit. Durch das Handy ist man rund um die Uhr zugänglich für jeden, auch das ist eine Form der Überwachung.
Und wir sind in einer Gesellschaft, in der Sprache immer wichtiger und instrumentalisiert wird. Sprache wird zur Waffe jeder politischen Richtung und löst richtig viel Diskussion aus. Orwells „Newspeak“ ist da ein Mahnmal, das man sich anschauen kann.

Worüber denkt man nach, wenn man aus dem Saal geht?
Ich hoffe, man denkt darüber nach, wieviel Kontrolle man selbst ausübt und wieviel über einen ausgeübt wird und die man vielleicht nicht auf Anhieb erkennt. Man denkt darüber nach, wie reflektiert man auf Nachrichten oder Fake News zugehen soll. Man denkt vielleicht darüber nach, was das Individuum in einem System bedeuten und bewirken kann.
"1984" ist das erste von vier Stücken, die wir uns dieses Saison anschauen. Ihr wollt bei den drei anderen dabei sein? Hier haben wir einen Überblicksartikel für euch.
Was fasziniert dich am Stoff von „1984“, Tabea?
1984 ist ja eine klassische Überwachungsstaaterzählung, eigentlich DIE Überwachungsstaaterzählung, die Warnung vor totalitären Regimen. Was mich angesprochen hat und den Willen geweckt hat, das nochmal zu bearbeiten, war tatsächlich die Kontrolle, die nicht durch Gewalt, Folter oder Verhaftungen stattfindet. Sondern die Kontrolle, die ganz alltäglich stattfindet. Durch das Übertragen von Information, durch das gezielte Verbreiten von Falschinformation und auch der Umgang mit der Sprache.
„Neusprech“ ist bei Orwell ein ganz wichtiger Teil des Romans. Ziel von „Neusprech“ ist, dass man keine Lüge mehr aussprechen kann, weil einem die Worte fehlen. Mich hat das fasziniert, weil Sprache heute zur Waffe geworden ist.
Man ist sich der Sprache viel bewusster, Stichwort Gendern. Das ist ja etwas, das sehr große Emotionen auslöst, positiv wie negativ. Man achtet mehr drauf, was man sagt, aber es werden Worte und Sprache gezielt eingesetzt, um Gruppen zu diskriminieren oder um Bilder zu erwecken, die gar nicht so klar ersichtlich sind. Das wollt ich in dieser Zeit, in diesem Umgang neu beleuchten.