Birgit Birnbacher: „Wahrscheinlich gibt es auch irgendwo glückliche Schriftsteller“

Birgit Birnbacher

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Birgit Birnbacher ist Schriftstellerin, Soziologin und seit Kurzem Trägerin des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises. Wir haben die Salzburger Autorin zum Interview gebeten und mit ihr über das Wettlesen, unsichere Arbeitsbedingungen und glückliche Schriftsteller*innen gesprochen.

Erst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des diesjährigen Bachmann-Preis. Wie fühlt sich das an?

Dankeschön! Tatsächlich fühlt es sich großartig an. Ich warte immer, dass doch alles anders ist und alles ein Missverständnis war, aber bisher ist nichts in diese Richtung geschehen: Niemand hat geklingelt und den Preis abgeholt und langsam dämmert mir, dass das auch so bleiben könnte.

Immer wieder beschreiben Autor*innen das Wettlesen vor der Jury als große Herausforderung. Wie hast du das erlebt?

Ach, das war ein Pech. Man kann sich das als Zuschauer wirklich nicht vorstellen. Dieses Warten auf die Lesung und die Diskussion sägt schon an den Nerven. Mit den anderen ist man eine Schicksalsgemeinschaft und versucht, einander zu stützen, aber trotzdem sitzen alle da wie die Lämmer auf der Schlachtbank. Wie die lachenden, feiernden, biertrinkenden Lämmer zwar, aber eben doch Lämmer, die in diversen Momenten des Tages und der Nacht wieder zurück in ihre Lämmerhaftigkeit sinken, eine Quälerei. Und dann ist endlich dieser Moment da, du darfst lesen, gleich ist alles vorbei – und dann kippt vor deinen und aller Augen die Jurorin Nora Gomringer um. Ich war während meiner ersten vier Seiten wie gelähmt und habe beobachtet, was passiert und wie ernst es ist. Ich dachte, das wird ohnehin nun alles gestoppt, Kreislauftropfen hin oder her, aber niemand hat das entscheidende Signal gegeben, wahrscheinlich einfach aus Unsicherheit. Das Stoppsignal kam dann nicht, ich habe weitergelesen und Nora Gomringer ging’s dann auch sehr bald wieder gut.

Das Fernsehen ist schon ein schräges Medium, die haben dann einfach auf mich draufgehalten und so getan, als wär nichts. Als meine Lesung vorbei war, sind mir selber dann ein wenig die Nerven zusammengefallen, da wollte ich eigentlich am liebsten heulen, aus mehreren Gründen, vor allem aber vor Erleichterung, dass es vorbei ist. Trotzdem ist es einfach so, dass jeder ja weiß, dass die Bachmannlesung schon Kolleg*innen ruiniert hat. Wenn man dort hin geht, weiß man, welches Risiko man eingeht, aber abschätzen kann man es trotzdem nicht. Zu sehen, wie andere in den Boden gestampft werden, ist bitter. Manchmal sind das Wunden, die nicht mehr ganz verheilen. Trost ist dann nur, dass wirklich etliche unangefochtene Größen in Klagenfurt schon ein schlimmes Schicksal erlitten haben. Aber wie das eben so ist mit Trost, der argumentieren muss: Er wirkt meistens zu wenig.

Birgit Birnbacher

Du hast mit dem Text „Der Schrank“ gewonnen. Worum geht es in dem Werk?

Der Schrank ist ein Text über prekäres Wohnen und prekäre Arbeit und möchte anhand von den Arbeitsmodellen seiner Protagonist*innen der Frage nachgehen, wie weit man Sicherheit aufgeben möchte, um Freiheit zu spüren, und wie wenig frei der ist, der keine Sicherheit spürt. Mehrere Milieus, deren gemeinsamer Nenner der Niedrigverdienst ist, die aber aus ganz unterschiedlichen Richtungen an einer Idee vom vollversicherten Arbeitsleben abrutschen. Ein Text über die Erosion der sozialen Mitte, ist er schon öfter genannt worden und ich würde das auch so sehen.

Du bist ja neben deiner Arbeit als Schriftstellerin auch Sozialarbeiterin und Soziologin? Gehören diese beiden Seiten derselben Person zusammen oder sind das zwei ganz unterschiedliche Menschen: Die Schriftstellerin Birgit Birnbacher und die Sozialarbeiterin Birgit Birnbacher?

Ach, unterschiedliche Menschen sind das nicht, das wäre wohl ungesund. Mir ist nur wichtig, dass klar wird, dass ich nicht über die Menschen schreibe, die ich in meiner Arbeit erlebe. Ich würde keinen Menschen zur Figur machen, ohne dass er es weiß. Bei meinem neuen Roman ist das anders, da habe ich von vorn herein nach einem haftentlassenen Jugendlichen gesucht, der bereit war, mit mir zu sprechen. Ich wusste nicht, wie schwierig das sein würde! Vor allem war mir nicht klar, wie es um das Ausdrucksvermögen eben dieser Gruppe von Menschen machmal bestellt ist. Aber dann hab ich meine Hauptfigur doch noch gefunden, er war bereit, mir einzelne Bruchstücke seiner Lebensgeschichte zur Verfügung zu stellen, das wurden dann sehr intensive Jahre, die damit endeten, dass es ihm überhaupt nicht egal war, wie der Roman endet. Ein schönes Ende sozusagen, wenn Literatur und Leben so ineinandergreifen.

Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

Gut vier Jahre, mit dem vorab Nachdenken darüber, fünf, während der letzten eineinhalb Jahre jeden Tag.

An einem Roman arbeiten, das klingt immer sehr nach Schreibmaschine, Kaffee, Zigaretten und Genie. Wie läuft denn das mit dem Schreiben im Alltag bei dir ab? Und kennst du Schreibblockaden?

Das ändert sich mit der Zeit, je nachdem, welches Leben man führt. Eigentlich auch schön, wenn man merkt, dass das Schreiben einen nicht verlässt, gleich wie man lebt. Mein Lebensstil – ich lebe mit kleinem Kind und arbeite in einem zweiten Job – lässt es heute nicht mehr zu, auf die Muse zu warten, aber dafür war ich ohnehin nie der Typ. Begriffen wie Inspiration und Muse und sowas in der Art stand ich immer skeptisch gegenüber, ich weiß gar nicht genau, was das sein soll. Ich arbeite zu ganz fixen Zeiten und zusätzlich, wann immer es mir möglich ist, je routinierter, desto ertragreicher. Schreibblockade ist ein hässliches Wort, mit dem ich nichts zu tun haben will. Im Schreiben gibt es so viel, was man tun kann, wenn man nicht vorwärts produziert. Streichen, nachbessern, verfeinern, herumfeilen. Man kann nicht immer nach vorne preschen. Was ich aber schon kenne, sind Zeiten, in denen man nicht zum Schreiben kommt, weil das Leben anderes mit einem vorhat. Da fühle ich mich dann, bis auf ganz wenige Ausnahmen, bei aller Liebe zum restlichen Leben, schon schnell einmal verwaist und irgendwie halb. Ich werde traurig, wenn ich nicht schreiben kann, aber ich habe das Glück, dass meine Familie mich schreibend akzeptiert.

Birgit Birnbacher

Als Schriftstellerin lebst du wie andere Künstler*innen mit unsicheren Arbeitsbedingungen und schwankenden Einnahmen. Ist das etwas, das dich belastet?

Ja. Ich persönlich habe während der letzten Jahre ein unglaubliches Glück gehabt. Ich habe relativ wenig eingereicht, das aber mit großem Ertrag – eine Glückssträhne. Klar willst du dann so lange als möglich damit auskommen. Das führt aber dazu, dass du beginnst, dir sehr wenig zu gönnen und akribisch darauf acht zu geben, was du ausgibst. Dieses Lebensmodell ist für mich persönlich – im Hinblick auf mein Kind – nicht erstrebenswert. Es belastet, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Außerdem: So wie es jetzt ist, bleibt es nicht. Ich habe ja vor allem mit Autor*innen zu tun, die ein bisschen dienstälter sind als ich. Da kriege ich mit, wie zäh es wird, wenn du es ab dem dritten Buch nicht geschafft hast. Diese Ausdrucksweise stammt nicht von mir, sie stammt aus der kapitalistischen Welt, der sich auch der Buchmarkt unterordnen muss: Du schaffst es, oder eben nicht. Und ehrlich: Dieses Schaffen ist ja nicht immer das Erstrebenswerte, das, was man wollen soll. Es kostet einen Preis, nicht selten einen hinsichtlich künstlerischer Authentizität. Das heißt nicht, dass es keine Gegenbeispiele gibt, zum Glück gibt es die. Aber ich will nicht alles machen müssen. Deshalb ist eine zweite Anstellung auch Freiheit. Es entsteht das Gefühl, weder vom einen noch vom anderen abhängig zu sein und alles, was man tut, gern zu tun. Ich versuche auf diese Weise, meinen schriftstellerischen Weg autonom zu halten.

Viele Künstler*innen beklagen auch den steigenden Druck in der Branche, sich selbst zu vermarkten. Wie geht es dir damit?

Es kommt darauf an, welche Partner*innen man sich sucht. Mein ehemaliger Verlag Jung und Jung, wie auch mein neuer Verlag, Zsolnay, hat kein Problem damit gehabt, dass ich mich nicht zum Stöckl-Night Talk hinein setze oder zum Frühstücksfernsehen. So etwas mache ich nicht und das ist von denen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, immer akzeptiert worden. Ich wollte auch in meinem ersten Buch kein Foto in der Klappe haben, einfach, weil ich dieses Junge-Frauen-Literatur-Fass nicht zusätzlich befüllen wollte. Viele Entscheidungen hat man selbst in der Hand. Wie man sich fotografieren lässt, mit wem man wo spricht, was man preisgibt von sich. Der Bachmann-Preis ist auch ein guter Anlass, ab und zu nein zu sagen.

Viele berühmte Autor*innen hatten turbulente Biographien. Macht glücklich und zufrieden sein schlechte Schriftsteller*innen? Oder ist das nur ein Klischee?

Meine Meinung: Es kommt immer auf die Quelle an, aus der man schöpft. Wahrscheinlich gibt es irgendwo auch wirklich glückliche Schriftsteller, die dann literarisch interessant und kraftvoll aus diesem Glücklichsein schöpfen, aber mir fällt spontan niemand ein, auf den das zutrifft. Einfacher ist es ganz sicher, aus einem Mangel heraus zu schreiben, weil ja nur aus diesem Spalt zwischen Ist und Soll, zwischen Wirklichkeit und meinetwegen Wunsch, zwischen Sätzen, die es gibt, und jenen, die es geben sollte, Literatur entstehen kann. Wenn alles glatt ist und schön, können wir einander auch bis ans Ende unserer Tage mit Emoticons angrinsen und alles ist gesagt.

Wenn du selbst einmal nicht schreibst: Was liest du viel und gerne? Und welches Buch liegt aktuell auf deinem Nachtkästchen?

Auf meinem Nachttisch liegen die Essays von Siri Hustvedt: Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen. Dann: Die Jahre, von Annie Ernaux, gleich über Oswald Egger: Val di non. Beim nächsten Einkauf habe ich dringend Karen Köhler auf meiner Wunschliste. Andreas Maier und Jan Brandt sind zwei Autoren, in die ich mich als nächstes einlesen möchte, weil sie mir beide auf ganz verschiedene Weise spannend erscheinen. Es hört ja sowieso nie auf, das Leben ist eine einzige Leseliste und das ist zur Abwechslung mal was, was auch Schriftsteller*innen glücklich macht.


Dieser Artikel ist zuerst im QWANT.Magazin 10/2019 erschienen. Hol dir jetzt dein Gratis-Abo!


Alle Fotos: ORF/ORF K/Johannes Puch

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