Lange war das Hotel Kobenzl am Gaisberg ein Luxushotel, in dem die Prominenz Europas ein- und ausging. Heute ist das Kobenzl ein leerstehendes Asylquartier. Der Leipziger Fotograf Matthias Hoch hat die Veränderung der Grand Dame in einer beeindruckenden Fotoserie begleitet. Wir haben ihn zum Interview gebeten.
Du stammst ja selbst nicht aus Salzburg. Wie bist du auf das Hotel Kobenzl aufmerksam geworden?
Mich interessieren schon immer Orte mit Geschichte. Orte, die in gewisser Hinsicht aufgeladen sind. Ich suche visuelle Spuren dieser Geschichte. Menschen zeige ich in meinen Fotografien nie. Ich sehe die Welt als Bühne, auf meinen Bildern sind die Akteure schon gegangen, oder die Vorstellung hat noch gar nicht begonnen, wer weiß das schon… Jedenfalls muss der Betrachter die Bilder selbst zum Leben erwecken.
Nach fotografischen Arbeiten über ein Parlamentsgebäude, ein Großklinikum und ein Banken-Hochhaus ist es nun zu einer Auseinandersetzung mit einem Hotel gekommen, und dieses Hotel hat eine so reizvolle Geschichte, daran konnte ich nicht vorbeigehen. Für mein letztes Projekt Silver Tower hatte der Frankfurter Schriftsteller Andreas Maier einen Text geschrieben, und damals, Anfang 2014, rief er mich an und fragte, ob ich nicht mal mit ihm zusammen „so ein leerstehendes Hotel in Salzburg“ besuchen würde, das könnte mich vielleicht interessieren. Als Suhrkamp-Autor wusste er von den Stammgästen Thomas Bernhard, Peter Handke und ihren Lektoren, und wusste, dass die gesamte Suhrkamp-Taschenbuch-Bibliothek in der Lobby des Hotels stand – immer noch, auch nach acht Jahren Leerstand. Ich war noch nie in Salzburg, das schien ein guter Anlass zu sein. Außerdem wollte er mir das Augustiner Bräu in Mülln zeigen. So bin ich hierher gekommen.
Was hat dich am Kobenzl interessiert?
Dieses Hotel war nie ein wirkliches Luxushotel mit Grandezza – es war ein einfacher Berggasthof, und als es lief in den 1960er Jahren, als mehr Gäste kamen, wurde angebaut. Dann wurde weiter angebaut, insgesamt fünf Gebäudeteile kamen so zusammen, keine architektonischen Meisterwerke, um es vorsichtig zu sagen. Ein einziger Stilmix mit vielen Brüchen. Ein Berggasthof, aufgeladen mit Pomp und Prunk und Edelkitsch und vielen Teppichen. Mich interessierte, was damals als Luxus galt. Ich denke, es war eine Übereinkunft. Nachdem die Wichtigen der Welt hier abstiegen, war es keine Frage mehr: hier war der Platz, an dem man sein musste. Das große Kapital dieses Ortes war immer die Lage und der Blick. Und, wenn ich die Gästebücher lese: die familiäre Herzlichkeit der Bewirtung. Die Ausstattung und das Interieur waren nie wirklich entscheidend. Und so sah es auch aus.
Wie wird die Veränderung der letzten Jahre im Haus spürbar und sichtbar?
Die Zeit war einfach stehengeblieben. So wirkte das Hotel, als ich es zum ersten Mal besuchte. Ich hatte das Gefühl, als wäre der letzte Gast gerade erst gegangen. Das hatte auch damit zu tun, dass die Eigentümerfamilie während des Stillstandes den langjährigen Hausmeister einfach weiterbeschäftigt hatte. Der hielt das Haus in Ordnung, machte jeden Tag ein, zwei Zimmer sauber, bezog die Betten, als wäre nichts geschehen, acht Jahre lang.
2014 war ich viermal im Hotel, jeweils eine reichliche Woche, ich konnte im Haus übernachten, hatte den Hotelschlüssel, war der einzige Gast. Das war wichtig für mich, um die Atmosphäre zu erspüren, zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. Der Hausmeister war begeistert, dass sich jemand, noch dazu von weit her, für „sein“ Haus interessierte und bot mir an, jeden Morgen das Frühstück zu bereiten, wie früher. Und so kam er mit einem silbernen Tablett auf mein Zimmer und servierte Kaffee, ein weichgekochtes Ei und frisch gepressten Orangensaft.
In diesem Jahr fotografierte ich das ganze Haus, die Zimmer, den Wellnessbereich, die Küche, den Weinkeller, einfach alles. Wobei ich meine Fotografien nicht als Dokumente sehe – im Sinne von „so ist es gewesen“ – es geht mir um die Transformation der sogenannten Realität auf eine zweidimensionale Fläche, das Bild. Dabei bestimme ich sehr genau, was ich zeige und was nicht, die Aus- und Anschnitte, die Farben, die Kontraste. Die besten Bilder sind die, die sich in ihrer Zeichenhaftigkeit vom Abgebildeten ein Stück lösen und in ihrer Abstraktion ein Eigenleben beginnen – sie benötigen den Zusammenhang der Serie nicht mehr zwingend, man kann sie auch daraus lösen. So fotografierte ich also und dachte, ich hätte unendlich viel Zeit – denn es hatte sich ja seit Jahrzehnten nichts verändert.
Anfang 2015 kam die überraschende Wende: Bund und Land suchten dringend Plätze für Asylsuchende und schlossen mit der Eigentümerfamilie einen Mietvertrag über 15 Jahre ab. Als das bekannt wurde, gab es ein heftiges mediales Echo. „Asyl-Verteilzentrum auf dem Gaisberg. Das trifft Salzburg mitten ins Herz“ (Kronen Zeitung, 29.1.2015). Auch in Deutschland wurde es wahrgenommen: „Flüchtlinge statt Promis: Luxushotel wird Erstaufnahmelager“ (HNA, Kassel, 4.2.2015).
Nach Jahren des Stillstandes war die Geschwindigkeit des Wandels enorm: Innerhalb eines Monats verschwand das gesamte Mobiliar und wurde nach den Vorschriften für eine Asylunterkunft ersetzt: Stockbetten des Heeres statt reich verzierter Doppelbetten, Energiesparlampen statt Kronleuchtern, Plastik- statt Antikmobiliar. Übergangslösungen gab es einige: Die Betreuungsfirma servierte das Essen auf Kobenzl-Porzellan, die Kleiderspenden hingen auf Hotelbügeln, im Salon wurde Deutsch gelehrt und ein Doppelzimmer während des Ramadan zum Gebetsraum umfunktioniert.
War es schwierig, die Genehmigungen für dein Projekt zu erhalten?
Der Beginn war einfach: der Hoteleigentümer kannte den Schriftsteller, vertraute auch mir, gab uns die Schlüssel, los ging’s. Die Schwierigkeiten begannen später. Um ehrlich zu sein: Das Thema der Flüchtlingsunterkunft hätte ich mir nie selbst gewählt, es war mir viel zu aktuell und aufgeladen, alle Fotografen machten gerade so etwas, daran war ich nicht interessiert. Aber: das Thema kam ja praktisch ohne mein Zutun zu mir. Da ich an der wechselvollen Geschichte des Hauses interessiert war, wurde mir klar, dass hier ein weiteres Kapitel begann. Es gab diese Eigenwerbung des Hotels, die jetzt eine völlig neue Bedeutung bekam: „Die Welt zu Hause im Kobenzl“. Es war keine Frage, ich machte weiter.
Das heißt, ich wollte weitermachen, doch die Betreuungsfirma und das Wiener Innenministerium als neuer Hausherr verweigerten den Zugang. Insbesondere das Fotografieren war streng verboten, traumatisierte Flüchtlinge mussten geschützt werden. Das leuchtete mir ein, ich hatte auch nicht vor, Portraits der Geflüchteten zu machen. Ich war ausschließlich an der Geschichte des Hauses interessiert. Es verging ein viertel Jahr mit Schriftverkehr.
Der Grat zwischen Genehmigung und Ablehnung ist in solchen Fällen sehr schmal und hängt immer an Personen. Ich hatte das Glück, nach der Empfehlung durch den Hoteleigentümer an einen leitenden Beamten des BMI zu geraten, dem ich mein Projekt in einem Telefongespräch darlegen konnte, der kunstsinnig war, der es verstand, unterstütze, mir vertraute und einfach durchgab, dass ich ab sofort weitermachen könne. So einfach kann es sein.
Lassen sich an der Transformation des Hotel Kobenzl auch größere gesellschaftliche Entwicklungen ablesen?
Alles, was hier im Kleinen passiert, hat seine Entsprechung und die Gründe dafür im großen Kontext. Die Geschichte des Hotels ist ein Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung, und zwar nicht erst jetzt, sondern schon viel früher. Das Haus hieß einmal Judenbergalm, dann, in den 1940er Jahren, wurde es in Rosenhof umbenannt, später hieß es Kobenzl. Einer der ersten prominenten Gäste war Wernher von Braun, der Raketenentwickler der Nazis, der für die Amerikaner die Mondlandung vorbereitete. Im Juni 1969 ließ er von der Kobenzl-Terrasse eine Modellrakete in den Salzburger Abendhimmel fliegen, das Fernsehen war dabei und zeigte diese Szene am 20./21.7.1969 zwischen dem Start von Apollo 11 und der Landung auf dem Mond mehrfach. Millionen Fernsehzuschauer sahen das, eine ziemlich geniale Werbung.
Schon ein paar Wochen später kamen die ersten Amerikaner in die Salzburger Tourist Information und wollten in dieses Hotel, in dem The Rocket Man zu Gast war. So begann der internationale Aufstieg des Hauses. Später kamen Nixon, Thatcher, Strauß, der japanische Kaiser. Dann Schwarzenegger, Grönemeyer, Jürgens, und dann begann der Abstieg mit Popsternchen und Fußballern, die hier neureich Hochzeit feierten. Irgendwann zog die ganze Karawane weiter, das Haus wurde nach mehreren Wiederbelebungsversuchen und geplatzten Kaufanfragen geschlossen.
2015 kamen dann die syrischen Flüchtlinge und afghanische Großfamilien, das Haus war bis zur Kapazitätsgrenze belegt. Jetzt, im August 2016, ist das Haus wieder vollkommen leer. Es gibt nach der Schließung der Balkanroute keine Flüchtlinge mehr, die zu verteilen wären. Die Mitarbeiter wurden beurlaubt. So ist dieses Haus in ständiger Wandlung, die Geschichte geht weiter, und sie ist immer Ausdruck der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen. Das ist das Spannende. Dabei habe ich in diesem Zeitstrahl des Berggasthofes von 1864 bis heute nur reichlich zwei Jahre verfolgt, aber diese zwei Jahre waren ziemlich ereignisreich…
Was „wünschst“ du dem Hotel Kobenzl für die Zukunft?
Das ist eine schwierige Frage. Ich möchte mich da eher zurückhalten. Die Nutzung als Flüchtlingsheim ist in der gegenwärtigen Situation des Leerstandes sinnvoll, humanitär, wichtig. Ich sehe sie jedoch als temporär.
Ich habe dieses Haus als wunderbaren Ort zwischen Himmel und Erde erlebt. Wenn man auf der Terrasse über den Wolken ist, dann ist die Stadt, so nah sie auch immer sein mag, einfach nicht mehr sichtbar, sie ist verschwunden. Und wenn dann der „Vorhang“ langsam wieder aufgeht – das ist ein grandioses Schauspiel. Ich wünsche diesem Ort, dass er für alle, die ihn erleben wollen, offen und zugänglich ist.
Matthias Hoch, bildender Künstler und Fotograf, lebt in Leipzig, www.matthiashoch.com