„Das Vinzidach ist wichtig, weil ohne Wohnung ist es schon scheiße“

Vinzi Dach Vinzi Dach in Salzburg

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Im VinziDach werden Langzeitobdachlose bei der Wohnungssuche betreut. Wir waren zu Besuch und haben mit den Menschen vor Ort gesprochen.

„Housing First“ heißt das Konzept im VinziDach in Salzburg. An Langzeitwohnungslose, oft mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen, werden hier nach Möglichkeit Wohnungen vermittelt. Die Idee hat sich in den Neunzigerjahren in New York entwickelt und macht die „Rough Sleepers“ zu Hauptmieter*innen ihrer eigenen vier Wände. Wenn es von der Straße in die Wohnung geht, bedeutet das aber nicht nur für Wohnungslose Veränderung. Auch für deren Sozialarbeiter*innen ändert sich das Tätigkeitsfeld. Hauptaugenmerk ist dann die Unterstützung bei der Selbstständigkeit. Wohnungsanwärter*innen oder bereits Mieter*innen treffen sich im VinziDach auf einen Kaffee, erhalten Hilfe bei Anträgen fürs Sozialamt oder haben hier für einige Stunden einen Ort zum Bleiben.

Obdachlos sagt Anna ungern. „Es klingt so böse irgendwie.“ Lieber sagt sie, dass sie derzeit keine Wohnung hat.

Eine unter ihnen ist Anna*, obdachlos, obwohl sie gerade bei einem Freund schläft. Obdachlos sagt Anna ungern. „Es klingt so böse irgendwie.“ Lieber sagt sie, dass sie derzeit keine Wohnung hat. Oder eben bei einem Freund schläft. Annas Geschichte ist eine über alkoholisierte Gewalt in der Ehe, bis sie irgendwann entschieden hat, zu gehen. So hat es begonnen und geendet hat es auf der Straße. Dabei, erklärt die Sozialarbeiterin Katharina, seien Frauen oft von einem breiteren sozialen Netzwerk gestützt und kommen eher in teilweise fragwürdigen Wohnsituationen bei Freunden und Bekannten unter. Die Obdachlosigkeit bleibt unsichtbar. Wie bei Anna. Die Wohnungssuche erweist sich für sie als schwierig, weil sie keine Mindestsicherung erhält. Wer in Österreich seine Arbeitsleistung nicht zur Verfügung stellt, hat kein Anrecht darauf. Man muss arbeiten, ca. sechs Stunden in der Woche, um krankenversichert zu sein. Dann hat man erst Aussicht auf eine Wohnung. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn man auf der Straße lebt, braucht es enorme Kraftressourcen, man muss aber gesund sein und arbeiten. Und weil wir unsere Wohnungen dankeswerterweise vom Wohnungsamt Salzburg vermittelt bekommen, brauchen wir ein Einkommen: Mindestsicherung, AMS-Geld, Krankengeld, Pensionsbezug oder Einkommen aus regulärer Arbeit. Deshalb ist das wichtigste, erstmal das Einkommen zu sichern. Erst dann kann man sich um eine Wohnung kümmern“, fügt Katharina hinzu. Eine leistbare Wohnung in Salzburg zu finden ist schwierig, aber ohne ein Einkommen ist es unmöglich.

Damals in seiner Wohnung in Graz, in bester Altstadtlage. Er trägt Sakko und eine Sonnenbrille ins Haar gesteckt und erzählt Dinge über Gentrifizierung und Investment, wenn er zurückdenkt an seine Zeit in Graz, die ihn Unterkunft und Beruf gekostet hat.

Wenn man auf der Straße lebt, wird alles zum Problem: Das Wäschewaschen kostet, das Essen kostet und Zeit zum Arbeiten ist rar. Vor allem dann, wenn man sich bei Sozialdiensten zu bestimmten Zeitpunkten melden muss. Eine sogenannte Nichtmeldebestätigung brauchen Wohnungslose nämlich trotzdem. „Als ich einmal in einer Brauerei gearbeitet habe, konnte ich nicht einfach mal in die Breitenfelderstraße fahren und mich zur Nichtmeldung melden“, sagt Monaco. Monaco heißt er deshalb, weil er dasselbe Kaffeeservice besaß wie Monaco Franz. Damals in seiner Wohnung in Graz, in bester Altstadtlage. Er trägt Sakko und eine Sonnenbrille ins Haar gesteckt und erzählt Dinge über Gentrifizierung und Investment, wenn er zurückdenkt an seine Zeit in Graz, die ihn Unterkunft und Beruf gekostet hat. Monaco hat in der Kunst- und Kulturszene gearbeitet. Für ihn war es eine Verkettung unglücklicher Zwischenfälle, die ihn dorthin gebracht hat, wo er jetzt ist: Zuerst war da nur Schimmel in der Wohnung, dann hat er sich geweigert, Miete zu bezahlen. Die Gerichtsverhandlung lief nicht gut für ihn, sodass ihn die Lohnpfändung mit seiner schwangeren Partnerin nach Salzburg gebracht hat.

Vinzi Dach in Salzburg

„In Salzburg habe ich einen Job gefunden und konnte unsere Wohnung bezahlen. Als meine Freundin dann das Kind bekommen hat, hat sie mich vor die Tür gesetzt, weil sie mich dann ja nicht mehr gebraucht hat. Wenn du eine Alte mit Borderline hast, kommst als Mann zum Handkuss.“ Über seine Expartnerin spricht Monaco gerne und viel, oft fallen die Worte Borderline, Therapien, Psychopharmaka. Seine Tochter sieht er heute nicht mehr, „weil die Mutter des Kindes ab einem gewissen Zeitpunkt bewusst isoliert hat“. Für Monaco ist klar: Seine Expartnerin lebt im Haus ihres Vaters, fährt Monacos Auto und benutzt seinen Laptop. Und er selbst hatte zum Lebenskünstler zu werden.

„Normalerweise habe ich in einem Penthouse geschlafen. Das war noch eine Baustelle und die Wohnung konnte nicht übergeben werden.“ Aus welchen Gründen auch immer. Einmal war eine Scheibe zerschlagen und die Baufirma hatte die Reparatur lange Zeit verabsäumt. Oder wenn ein Wohnblock saniert wurde und die Wohnungstüren offenstanden, dann hat Monaco die Chance ergriffen. In Flüchtlingsheimen sei er ein nicht gern gesehener Gast gewesen. „Dort durften nur Flüchtlinge schlafen, aber die haben sich untereinander nicht verstanden und gegenseitig rausgeekelt. Da standen viele Betten leer und wenn ich nach sieben Bier in keine andere Wohnung gekommen bin, wollte ich dort unterkommen.“ Einfacher fiel es ihm, in öffentlichen Gebäuden zu nächtigen. Das ging lange Zeit so dahin, bis er vom VinziDach erfahren hat. „Das VinziDach ist wichtig, weil ohne Wohnung ist es schon scheiße. Im Februar hat es dann hingehauen mit der Wohnung und da fühle ich mich wohl. Aber das Witzige ist, obwohl du eine Wohnung hast, das Gefühl kriegst du lange nicht weg. Gestresst oder paranoid, also übervorsichtig, bist du immer.“

„Es ging ja immer ums Geld. Meine Mutter hat mich rausgeworfen, sobald ich keines mehr hatte. Also habe ich mal bei der und mal bei der geschlafen. Sagen wir mal, ich habe ein Händchen für Frauen, die ihre Hawara ohne Grund vor die Tür setzen.“

Dieses Gefühl benennen kann man nicht, bestätigt Alex* und fügt hinzu: „Ich habe meine Wohnung im Oktober 2015 bekommen, aber schauen tu ich noch immer. Obwohl man schon den Schlüssel in der Hand hat, wenn ich mit dem Bus unterwegs war, ich habe immer geschaut, wo eine Abbruchhütte ist oder wo man noch reinkommt. Das bleibt im Schädel hängen, auch wenn es weniger wird.“ Mit Schauen und Suchen hat Alex* beinahe zwanzig Jahre seines Lebens zugebracht. Gewohnt hat er zuerst in einem Zelt an einem oberösterreichischen See, während er als Dachdecker gearbeitet hat. Auch hier wieder: gescheiterte Beziehungen, Probleme am Arbeitsplatz und Alkohol. „Es ging ja immer ums Geld. Meine Mutter hat mich rausgeworfen, sobald ich keines mehr hatte. Also habe ich mal bei der und mal bei der geschlafen.“ Alex nennt sich Schweralkoholiker, er redet schnell und laut und am liebsten über seine Ex. Monaco nickt zustimmend, während Alex fortfährt: „Sagen wir mal, ich habe ein Händchen für Frauen, die ihre Hawara ohne Grund vor die Tür setzen.“

Die Frau, der Alex nach Salzburg gefolgt ist, nennt er bitter Überhammer. Mit ihr ist er zusammengekommen, als die Mutter seiner Kinder von einem Auto überfahren worden war. „Ich habe mich wohlgefühlt, weil ich ein Dach über dem Kopf hatte und sie hat sich wohlgefühlt. Also habe ich ihr gesagt wir sollen’s versuchen und zuerst hat sie nein gesagt. Da hab ich gesagt ‚Tu net so deppat’ und sie war dann einverstanden.“ So einfach Alex das schildert, war es dann doch nicht. „Sie hat mich immer wieder aus ihrer Bude rausgehaut, weil sie eigene Probleme hatte, wie Borderline und heimlich Tabletten gefressen hat sie auch, schizophren war’s und manisch-depressiv und immer, wenn ich den Fernseher angemacht habe, hat sie Panikattacken gekriegt.“ Das ging nicht lange gut und zwischendrin war Alex auch im Häfen. „Weil es ein paar Leute gibt, die zu frech sind, und dann ist der Wind gegangen und der Wind war ich.“ Seine Zeit im Gefängnis hat Alex mit Büchern über Psychologie zugebracht. „Das waren schwierige Bücher und die haben das Ganze ja gut erklärt, aber wie ich meiner Freundin helfen konnte, habe ich nicht rausgekriegt. Tabletten konnte ich ihr mit Liebe mitbringen, aber sonst nichts.“ Seine Freundin wollte schließlich zu Verwandten nach Salzburg und auch hierhin hat sie Alex begleitet. Weil ihn in Linz nichts mehr hielt. Noch bevor sie zusammen aus der Wohnung ihres Großcousins in Salzburg ausziehen mussten, ist Alex freiwillig gegangen. Um sich an das Leben auf der Straße schnell wieder zu gewöhnen, meint er.

An das Leben auf der Straße gewöhnt man sich, nur will man sich nicht gewöhnen. „Aber unter Alkohol kriegst du so ein Wurschtigkeitsgefühl, sodass man meistens einfach nur irgendwo schläft: in Parks, auf Baustellen, im Radlkeller am Bahnhof. Da ist es zugegangen. Dauernd wurde ich bestohlen.“ Auch an Geldsorgen hat sich Alex gewöhnt. Im Schnorren sei er Profi gewesen. Beim Schnorren, erzählt er, gibt es ein paar Regeln: Keine Frauen mit Kindern anreden, kein altes Ehepaar, Essende oder Telefonierende. „Nach zwanzig Jahren kriegst du ein Gespür. Du siehst einen, gehst langsam hin, fragst höflich, nie von hinten angehen, niemanden erschrecken. Mit einer Flasche Wodka und ein paar Bierli habe ich mich leichter getan.“ So hat sich Alex jahrelang Tabak und Alkohol finanziert. Mittlerweile ist er trocken, aber süchtig wird er immer sein. „Auch wenn ich seit 8 Monaten nichts mehr saufe, belüge ich mich selbst wenn ich sage, dass ich nie wieder was trinken werde. Das Suchtgefühl bleibt. Und das muss ich auch noch sagen: Das VinziDach hat auch dazu beigetragen, dass ich nichts mehr saufe.“

* Name von der Redaktion geändert, der Redaktion aber bekannt.


Du willst helfen?

Das trifft sich gut. Das VinziDach sucht nämlich Ehrenamtliche, die als Freizeitpat*innen Bewohner*innen besuchen, mit ihnen spazieren gehen, spielen und ihnen beim Einzug in die neue Wohnung helfen. Mehr Infos findest du auf der Webseite von VinziDach.

Unser Dank geht an die Sozialarbeiter*innen vom VinziDach Salzburg, die uns die Treffen mit unseren Gesprächspartnern ermöglicht haben.

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