Die Bergprinzessin

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„Alle nennen mich hier die Bergprinzessin. Dabei bin ich doch keine Prinzessin.“ Silvia kichert und zieht an ihrer Zigarette. Wir sitzen in einem der Wehrtürme, in unserem Rücken die Festung, vor uns die Wiesen des Kapuzinerbergs. Im Wehrturm ist sie daheim. Wenn Silvia eine Prinzessin ist, ist der Kapuzinerberg ihr Reich.

Text: Veronika Ellecosta, Fotos: Jasmin Walter

Und es regnet. So viel, dass die Wiese vor uns matscherweicht ist. Auch im kleinen Wehrturm tropft es. „Manchmal wenn ich schlafe, reg­net es mir ins Gesicht. Aber so ist das Leben.“ Ob es denn kalt ist im Winter? Ja, dann hängen die Eiszapfen von der Decke. Dürftig hat Silvia das Fenster verhangen, hinter blauen Plastikpla­nen schimmert die Festung durch und der Himmel klatscht seine Tropfen rücksichtslos gegen das Plastik. Den Regen kann man hier nicht einfach vor die Tür sperren. Auch nicht den Winter. Oder die unerwünschten Besucher*innen, die sich immer wieder Zutritt verschaffen wollen.

,,Seit Heiko gestorben ist, haben sie mich voll im Vi­sier. Sie wissen, dass ich jetzt alleine bin. Dauernd brechen sie ein und reißen an der Tür. Ich habe keine ruhige Minute mehr.“

,,Seit Heiko gestorben ist, haben sie mich voll im Vi­sier. Sie wissen, dass ich jetzt alleine bin. Dauernd brechen sie ein und reißen an der Tür. Ich habe keine ruhige Minute mehr.“ Heiko, das war Silvias Freund. Ihr großer Bruder, sagt sie. Wie in dem Lied von Zlatko. Aber wie es geendet ist, kapiert sie nicht. Sie deutet auf den Holzhaufen vor dem Wehrturm und den kleinen Platz da­vor. Dort vorne sei er zusammenge­brochen, Herzstillstand. Zwei Tage vor Heiligabend sei er gestorben.


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Heiko ist wegen Silvia auf den Ka­puzinerberg gezogen. Oben am El­ferturm haben sie sich kennengelernt. Damals war Silvia noch mit Martin zusammen. Ihr damaliger Freund hat­te bereits 25 Jahre am Kapuzinerberg verbracht. ,,Martin wollte irgendwann nicht mehr am Berg wohnen. Er ist zu­rück in die Steiermark. Hat jetzt dort zwei Buben und eine Frau. Aber Sil­via bleibt da.“ Mit ihm zusammen war sie eigentlich nach Salzburg gegangen, vor 17 Jahren. Warum? Sie wippt mit den Beinen, wenn sie redet. Der Blick springt von der Wiese, der wir beim Regenaufsaugen zuschauen, und mir hin und her … Berg ruft.“ Heiko sei ei­gentlich nur auf Besuch am Kapuzi­nerberg gewesen. Dann hat er sich in Silvia verliebt, wie in einer rührseligen Romanze. „Alle haben sich in mich verbraten. Und dann wollten sie mich alle heiraten. Na, aber ich heirate nicht. A Blattl Papier, wozu, wenn es auch so gut geht? Aber ich hatte es ja wirklich gut mit ihnen.“ Sie kichert wieder, wie ein Kind kichert sie. ,,Kennst du Her­bert Grönemeyer? Männer sind schon als Baby blau!“

bergprinzessin

Es habe Heiko hier an der frischen Bergluft eh gut gefallen. „Aber dann rutscht er wieder in die Scheiße rein. Drogen.“ Dort, wo er früher war, Ha­nuschplatz und Bahnhofsviertel. Und irgendwann sind sie zusammen in weiter unten gelegene Türme gezo­gen, vom Elfer in den Achter bis in den Zweier, weil Heiko nicht mehr so gut gehen konnte. Im Zweier ist Silvia heute noch, im Zweier hat sie mich empfangen. Der einzige, der jetzt noch offen ist. Alle anderen habe das Magistrat versperrt. Nur Silvia und Heiko durften bleiben. „Wir haben so viel Spaß gehabt. Aber er ist wieder in die Kreise reingeraten, wo er früher war. Sind eh genug unten, die Drogen nehmen.“ Ob die Drogen Anteil an seinem Tod gehabt haben? Wahrscheinlich schon. Und jetzt ist sie alleine. Heiko geht ihr ab, vor allem nachts. Sie schaut mich aus kindlichen Au­gen an und greift sich an den Kopf.

,,Die Nacht ist schlimm. Da sammeln sich hier die Gedanken an und spielen sich immer wieder wie in einem Film ab.“ Dabei hat sie alles live gesehen. ,,Sie wollten mich trösten. Der Rettungsmann hat gefragt, ob ich etwas zur Beruhigung brauche. Nein, aber bitte lasst ihn le­ben.“ Und dann haben sie ihn in einer Tasche nach oben getragen. Dorthin, wo Salzburgs Gäste die Im­bergstiege hinter sich gebracht haben und die erste Aussichtsplattform erreichen, um vor den glänzen­den Dächern für Urlaubfotos zu posieren … Ich habe gesagt, bitte lasst ihn da.“ Es war hart, die härteste Zeit in ihrem Leben, sagt sie. Wieder deutet sie auf den Platz vor dem Wehrturm. Da vorne. Und dann? Dann sei er verbrannt und die Urne nach Hause nach Deutschland geschickt worden. Aber er sei eh immer hier. In dem Wehrturm, wo wir heute zwischen den Kleidern, grauen Stofftieren, alten Töpfen auf Silvias Bett sitzen. ,,Er redet mit mir, dann glaub ich immer, dass ich Hallus hab.“

Acht Jahre haben die beiden zusammen am Kapuzinerberg verlebt, jetzt ist sie alleine. Alleine mit ihren Tierchen. Den Raben, der vor ihrer Hütte landet, hat sie The Crow genannt, ihn seit Klein auf gefüttert. Er hopst vorbei. „The Crow, du Chameur. Besuch ist da.“, ruft sie ihm zu. Eine Maus huscht über den Boden, in das Türmchen hinein und wittert. ,,Das sind meine Mäuse. Ich füttere sie mit Brot, die sind voll nett.“ Eigentlich will sie nicht weg, weil sie sich von ihren Tieren nicht trennen kann. In einer Wohnung wurde ihr die Natur abgehen. Der Natur und den Menschen von ihrem Türmchen aus Zuschau­en, das ist ihr Fernsehen. „Schon in der Früh kräht The Crow dreimal. Dann wartet er auf sein Frühstück.“ Wir schauen der Maus dabei zu, wie sie sich ein Stück Laugenbrötchen schnappt und aus dem Türmchen huscht . „Die sind total zutraulich.“

„Mir taugt es hier am Berg. Aber jetzt, wo ich allei­ne bin, wollen alle immer rein bei der Tür. Am Abend vor allem. Die Leute sind Tschuschen. „, sagt sie und ich versuche immer noch, die Maus im Holz vor dem Turm auszumachen. Wenn Silvia nicht raucht, trinkt sie Gurktaler. „Kärtnerschnaps. Magst du was ande­res? Ich habe Holunder da. Ich trink nicht immer nur Schnaps.“ Wenn sie nicht trinkt, bemalt sie Steine. Oder redet mit den Menschen, die auf Panoramajagd sind. Manchmal spielt sie auch mit den Kindern und trommelt mit ihnen. „Ich bin auch noch kindisch. Ich bin zwar fünfzig, aber ich fühle mich nicht so.“ Mit ih­rer violetten Schildmütze und dem Kichern mag man ihr das auch glauben.

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Mittlerweile, sagt sie, will sie eine Wohnung ha­ben, nicht mehr alleine sein. Auch, weil sie dauernd bestohlen würde. Schlafzeug und Thermoskanne, Ja­cken und Pullover. „Alle müssen immer alles zerstören. Das ist so gemein.“ Manche suchen auch Unterschlupf. Da nütze es auch nichts, dass sie vom Magistrat einen Schlüssel für ihren Turm bekommen habe, die Fens­ter sind nicht vergittert und die blauen Plastikplanen kein Hindernis. Sie schaut hinauf zu den Mauern des Kapuziner klosters.

„Hal­looo, Halloo Family, halloo Baby“. Und während uns die Kinder ungeniert mustern, suchen die Blicke der Erwachsenen das Weite. Einige Münzen landen im Blechkübel vor dem Turm. „Danke Family!“, ruft ihnen Silvia fröhlich hinterher.

„Tututuuu“, schreit sie plötzlich, und mit mir zusam­men erschrecken auch Spaziergänger*innen. „Hal­looo, Halloo Family, halloo Baby“. Und während uns die Kinder ungeniert mustern, suchen die Blicke der Erwachsenen das Weite. Einige Münzen landen im Blechkübel vor dem Turm. „Danke Family!“, ruft ihnen Silvia fröhlich hinterher. „Ich krieg auch Spenden, aber ich bettle nicht. Ich bettle keine Leute an“, erklärt sie mir. Ob denn die Leute mit ihr reden? Viele. „Viele fra­gen und reden mit mir. Die können sich das nicht vor­stellen, hier zu wohnen, Natur pur.“ Auch die Medien haben Silvia längst entdeckt: Der ORF, die Salzburger Nachrichten und Antenne Salzburg haben Silvia durch die Jahre hindurch in ihrem Leben als Einsiedlerin be­sucht und zu einer lokalen Berühmtheit gemacht.

Lange wird sie hier aber nicht mehr bleiben. Die So­zialhilfe hat Silvia eine Wohnung angeboten und sie ist bereit, hinunter ins Tal zu ziehen. Das Tal, das sie bis jetzt immer gemieden und nur für Essen und Tabak aufgesucht hat. ,,Ich mag die Stadt nicht. Ich mag die Leute nicht, das Gerem-pel, das Schubsen, man wird überrumpelt.“ Diese Stadt wird ihr ein neues Zuhause bieten. Ihr neues Zuhause solle aber nahe am Berg sein. Damit sie die Tage hier oben verbringen kann und nur die Nacht in die Stadt muss. Weil ja, der Kapuzinerberg ist ihr Zuhause. Er ist ihr Berg. Wenn sie mit Besorgungen aus der Stadt kommt, hält sie oben am Plateau ein und macht eine Pause, zum Ausschnaufen. Und wenn sie dann die letz­ten Meter Richtung Zuhause gemacht hat, sagt sie „Hey Türmchen, Silvia ist wieder da.“

Vielen Dank für die tollen Fotos an Jasmin Walter Photography

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