Das Aganigi Naganigi ist in Salzburg eine Institution. Für Kebap um drei Uhr morgens und für alle, die sich den Kebap im dazugehörigen Boxring gleich wegtrainieren wollen. Wir haben dem Kebap-Boxstudion einen Besuch abgestattet und sind gleich in den Ring gestiegen.
Fotos: Jasmin Walter
Als wir das Lokal am frühen Nachmittag aufsuchen, ist es bereits gut gefüllt. Schulkinder schmieren sich Dürüm „mit Scharf“ ins Gesicht und der Geruch nach gebratenem Kebapfleisch hängt in jeder Ecke. Mehmet empfängt uns im Raucherraum. Er ist gerade aufgestanden.
,Wir sind Nachtmenschen“, sagt er und streckt sich demonstrativ. Als Besitzer des Aganigi Naganigi kommt man nachts eben erst spät ins Bett. Um Mehmets Hals baumelt ein silbernes Blingbling-Kettchen mit kleinen Boxhandschuhen. Als Erkennungszeichen sozusagen.
Neben ihm sitzt Mustafa im Lonsdalehoodie. Freunde sind sie seit mehr als dreißig Jahren. Sie haben zusammen und gegeneinander gekämpft. ,,Der Trottel hat mir meinen Zahn ausgeschlagen“, erzählt mir Mustafa. Und Mehmet kontert: ,,Dafür hat er mir mein Auge blau gehaut.“ Sie lachen.
Mustafa zündet sich eine Zigarette an, legt sie im Aschenbecher ab, wo Mehmet sie ihm entwendet. Gleich danach wird Mehmet das Fotoalbum suchen, wo er alle Erfolge als Boxer in Zeitungs- und Bildform aufbewahrt hat und in Nostalgiegefühlen schwelgen.
Vom Boxring zur Dönerbude
Angefangen hat die Laufbahn der beiden in der frühen Jugend. Warum man mit Boxen beginnt? Mustafa zuckt mit den Schultern. Als junger Mann will doch jeder Kämpfer werden, oder? Da will man stark sein, selbstbewusst. Vielleicht willst du dich beweisen? Eigentlich war es Mustafas Bruder, der ihm als Vorbild galt und ihn zum Boxen gebracht hat. Und für Mehmet war Mustafa der Anstoß.
Dann ist Mehmet K.O.- Boxer geworden. Das heißt, jemanden im Ring bewusstlos zu schlagen, sodass dieser nicht mehr aufstehen kann. Die ersten 25 Kämpfe hat er auf diese Weise vorzeitig gewonnen. Trainiert wurde in Hallein bei König Rupert. Der war ein Gott für sie. ,,Er war neunfacher Österreichischer Meister. Der beste Boxer aus Österreich.“ Im Fotoalbum zeigt Mehmet Zeitungsausschnitte, Höhepunkte seiner Karriere. Er lacht.
,,Ich bin der Paradetürke, der Scheißausländer.“
Es gibt auch Fotos von den beiden zusammen als boxende Kinder mit dünnen Ärmchen in dicken Boxhandschuhen. Später als Nationalboxer der Achtzigerjahre mit schwarzem Schnauzer.
Was dann passiert ist? Sie seien zu alt geworden. Früher schrieb ein Gesetz vor, dass man nur bis 36 Amateurboxer sein darf. Seit Jänner gibt es aber das Masterboxen für alle in die Jahre gekommenen Rockys. Da wird Mehmet wieder in den Ring steigen und ein paar Kämpfe austragen. Weil Boxen, findet er, ist eine Sucht, die der Körper braucht. Man fühlt sich stark und muss schwitzen. ,,Boxen ist wie mit einer Frau schlafen, so locker wirst du.“
Mustafa geht es mittlerweile um die technische Komponente. ,,Weil er keine Kraft mehr hat“, sagt Mehmet und wie immer lacht er. Derzeit absolviert Mustafa eine Ausbildung als Boxtrainer. Dann darf auch das kleine Boxstudio im Aganigi Naganigi offizielle Trainings anbieten. Bisher sind es nur private Interessierte, die ihre Fäuste hier gegen Sandsäcke hauen. Aus den Salzburger Vereinen kommen Boxer*innen her, wenn sie trainieren wollen. Man kennt sich, Trainer, Boxer*innen, Aganigi Naganigi -Staff.
Aber sein Ziel ist ein anderes: Mustafa will Antigewalt-Trainer werden. ,,Die Kinder kommen Boxen, anstatt auf der Straße zu raufen.“ In Schulen und Gefängnissen wird Boxen eingesetzt, um Aggressionen zu kanalisieren und in den Griff zu bekommen, erklärt er mir. Boxen ist ein Sport der Fairness. Im Aganigi Naganigi-Boxstudio träfen Afghanen und Tschetschenen aufeinander und kämpften hier zusammen. Außerhalb gäbe es sowas nicht. Das ist wertvolle pädagogische Arbeit.
Ohnehin kämpfe man im Boxen zuallererst gegen sich selbst. Man trainiert an sich. Ein Sprichwort sagt: Wer die fünfte Ecke findet, ist im Ring unbesiegbar.
„Wer nicht im Training schwitzt, blutet im Ring.“
Die fünfte Ecke, das ist die Mitte. Die Mitte im Ring und die eigene. Hat man Selbstvertrauen und fühlt man sich unbesiegbar, wird man sie finden. Was sich für mich wie ein fernöstliches Mantra anhört, ist für Mehmet und Mustafa eine Lebensphilosophie. Ein Lebensgefühl. Das obendrein dafür sorgt, dass man im Höhenflug des Kampfes keinen Schmerz empfindet und dann zuhause erst gebrochene Finger verarztet. Davon hatten beide im Laufe ihres Boxerlebens übrigens ausreichend. Zum Beweis streckt mir Mehmet seine verbogenen Finger entgegen. Aber eigentlich ist Boxen völlig ungefährlich.
Kämpfen kann man nämlich nur dann, wenn man keine Feindschaft und keinen Hass gegen das Gegenüber schürt. Man kann sich unter Freund*innen schlagen und nachher die Freundschaft zelebrieren.
Nein, betonen beide noch einmal, Boxer*innen sind nicht aggressiv. Es ist eine Kunst, die nicht jede*r lernen kann. Mittlerweile kommen ebenso Frauen wie Männer zu Mustafa. „Junge, alte, festere.“ Aber die kämen nur wegen des Körpers. Die sagen „Mustafa, ich bin dick geworden, du musst mir helfen.“ Es gibt auch eine Staatsmeisterin im Damenboxen, die hier trainiert. Und eine Krankenschwester, die Kämpfe austrägt. Boxtraining setzt nicht voraus, dass man in den Ring steigen muss. Manche bleiben beim Sandsack. Und trotzdem, auch Sandsackboxen ist Köpfchenarbeit.
Wie sehr, merke ich, als mir selbst im Boxraum die Boxhandschuhe angeschnallt werden und man mich Mustafa gegenüber platziert. Der wiederum trägt jetzt Pratzen, spezielle Handschuhe, an denen meine Hiebe abprallen sollen. Mehmet schaut uns zu, wie wir uns mit Seilspringen aufwärmen und zwei Minuten in hoher Frequenz springen.
„Bist du denn sportlich?“, fragt Mustafa. Pünktlich nach dem Aufwärmen steht auch Mehmet in Trainingshosen neben uns. Die Boxsucht hat ihn wieder gepackt. Wir schlagen gegen Mustafas Pratzen. Mehmet laut und stöhnend, ich zögerlich. Die Koordination in der Schritttechnik, die man bei Boxkämpfen immer als leichtfüßiges Tänzeln empfindet, will mir nicht recht gelingen.
Links-rechts-links, und wenn ich mein Gesicht nicht schnell genug wieder schütze, klatscht mir Mustafa mit seiner Pratze blitzschnell auf die Wange. Wenn Mehmet boxt, fängt er diese Hiebe mit seinem Handschuh ab oder duckt sich. Er boxt sich in Rage und schreit, schmeißt seinen Kopf gegen den Spiegel, ein Schweißfleck bleibt. Mustafa schaut mich lachend an: „So sind Boxer normalerweise nicht, Psychiatrie ist dreihundert Meter von hier weg.“
Gegen Mustafas Pratzen zu schlagen bekommt bei mir auch langsam Rhythmus. Links-rechts-links, Kopf schützen, Rumpf schützen. Meine rechte Gerade, sagt Mehmet, sei stark. ,,Das ist jetzt ein Anfang. Man muss üben, üben, üben, wenn man boxen will.“ Wir boxen eine dreiviertel Stunde lang, abwechselnd gegen Sandsack und Mustafas Pratzen. Ich tanze nicht mehr so viel und meine Hiebe treffen zunehmend dorthin, wo sie sollen. Manchmal vergesse ich wieder, meinen Kopf zu schützen.
Mustafa bemerkt die Schwachstelle sofort und klatscht mir wieder eine. Normale Trainingseinheiten dauern doppelt so lange. Als wir uns durch die Zeit geboxt haben, zittern meine Arme und Mehmet ist in Schweiß aufgelöst. Während wir aus den Handschuhen schlüpfen und ich mich mächtig und unbesiegbar fühle, klopft mir Mehmet auf die Schulter. ,,Spürst du das, du schwebst jetzt. Das macht glücklich.“ Er läuft vor uns zurück ins Aganigi Naganigi, wir lassen uns wieder im Raucherraum nieder. Mustafa zündet sich eine Zigarette an, legt sie im Aschenbecher ab, wo sie Mehmet ihm entwendet. So geht das alte Spiel dreimal.
Eine letzte Frage, bevor wir gehen. Was denn Aganigi Naganigi bedeutet? Das ist der Name eines osmanischen Potenzmittels, sagt Mehmet zufrieden.
Und die Fotos?
Die sind uns von Jasmin Walter Photography zur Verfügung gestellt worden. Danke dafür!