Jahrmarkt der Buntheiten

Tattoomesse in Salzburg

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Funfact: Der Eismensch Ötzi gilt als der erste überlieferte Tätowierte in unseren Breitegraden. Heute eifern ihm rund 24% der Österreicher*innen (Stand 2016) nach und machen sich die Haut bunt. Hunderte von ihnen haben sich vor kurzem in Salzburg zusammengefunden, zum Jahrmarkt der Freaks, der Wildstyle und Tattoomesse, einem Veranstaltungsformat, das in unterschiedlichen Formen seit den frühen 90ern durch die Welt tourt.

Buntgeschmückt sind fast alle, die sich an diesem sonnigen Sonntag in die Alpenstraße geschleppt haben. Da tanzen Schwalben um Schlüsselbeine, da zieren Namen von Kindern, verstorbenen Elternteilen und Lieblingsbands die Unterarme und Waden, so manches Gesicht glänzt und glitzert vor unzähligen Piercings. Viele dieser Hautkunstwerke sind auch für den Laien bezaubernd, beeindruckend aufrgrund ihres Stils und ihres Detailreichtums, manche nicht.

Tattoomesse in Salzburg

Sich auf der Messe unter die Nadel legen

Auf über dreißig Ständen präsentieren Tätowierer*innen aus der ganzen Welt (aber größtenteils aus Österreich und Umgebung) ihre Kunst. Sie zeigen, wie unglaublich breit das optische und inhaltliche Spektrum ist, in dem sich diese Form des Körperschmucks bewegt. Die Fachgespräche zwischen Kund*innen und Tätowierern sind überlagert von lautem Metal, Rock und Punk, sowie dem omnipräsenten Surren dutzender Tattoomaschinen. Denn tätowiert wird hier den ganzen Tag, entweder nach Terminvereinbarung oder spontan. Besonders für Szeneneulinge sind Messen wie diese eine optimale Gelegenheit, in die Materie einzutauchen, sich zu informieren, durch das Zusehen etwaige Hemmschwellen, sich selbst unter die Nadel zu legen, zu überwinden.

Die Schaulust der der Besucher wird aber nicht nur dadurch gestillt, andere dabei zu beobachten, wie sie sich Farbe in die Dermis stechen lassen – nein, auch der Showteil ist ungewöhnlich und ganz sicher kein alltäglicher Anblick.

Um 12:00 beginnt der erste Block – immerhin geht es bei der Wildstyle nicht „nur“ ums Tätowieren, es handelt sich ja auch um den „Jahrmarkt der Freaks“ und mit dem deutschen Lord Insanity betritt der erste selbsternannte Freak die Bühne und testet nicht nur sein eigenes Schmerzlimit, sondern auch die Magenempfindlichkeit des Publikums.

Durch seine ausgedehnten Ohrläppchen steckt er sich Karabiner, hängt daran Ketten und hebt mit diesen schwere Bühnenelemente aus Metall. Er schiebt sich Holzstecken und Korkenzieher durch sein Septumpiercing (den Bullenring in der Nase) und öffnet so eine Weinflasche, drückt sich ganze Zitronen in den Augen aus, steckt sich Feuerwerkskörper in die Hose, jongliert mit einer Machete und einer laufenden Kettensäge und als es an die Verteilung seiner Autogrammkarten geht, tackert er sich diese an den Körper.

Auf ihn folgen Andrew S. & Kelvikta the Blade alias The Swing Shift Side Show, ein Schaustellerpärchen aus Las Vegas, das bereits auf einige Einträge im Guinnessbuch der Rekorde zurückblicken kann. Ganz im Stil der Jahrmärkte des 18. und 19. Jahrhunderts werden da im Flamenco-Outfit Schwerter geschluckt. Für andächtiges Gemurmel im Publikum sorgt dann allerdings der Moment, an dem der Herr im Team „sein Herz im Körper nach unten wandern lässt“ und seinen pochenden Bauch präsentiert. Menschen mit einem Grundverständnis über Anatomie und Yoga-Atemtechniken bleiben da eher skeptisch.

Vier wirklich hübsche Frauen mit unglaublichen Beinen präsentieren wechselnde Outfits aus dem BDSM-Bereich, durch ihre mangelnde Begeisterung und ihre routinierte Choreografie, wirkt das allerdings nicht nur lieblos und kaum erotisch, sondern auch billig.

Als nächstes freakiges Highlight erobern die Wildstyle Girls die Bühne: Vier wirklich hübsche Frauen mit unglaublichen Beinen präsentieren wechselnde Outfits aus dem BDSM-Bereich, durch ihre mangelnde Begeisterung und ihre routinierte Choreografie, wirkt das allerdings nicht nur lieblos und kaum erotisch, sondern auch billig. Da wird viel mit den Busen gewackelt, ein bisschen Lesben gespielt, sich abgebusselt und der Hintern zärtlich versohlt, ohne überhaupt zu versuchen, Leidenschaft zu heucheln. Das Publikum zieht daher auch nicht wirklich mit, aber als ein junger Mann aufs Podium geholt und im Anschluss an seinen Lapdance sanft mit Ketten, Peitschen und Kerzenwachs gequält wird, kommt zumindest etwas Gejohle auf und verleiht dem Event einen Hauch von Bierzeltromantik.

Richtig begeistern kann dann allerdings Kiros Hadgu, der Schlangenmensch, der als elastischste Person der Welt gilt und durch das kontrollierte Auskegeln seiner Schultergelenke zu Bewegungen im Stande ist, die die Natur so sicher nicht vorgesehen hat. Den Abschluss des Showteils bildet Lucky Diamond Rich – der meisttätowierte Mensch der Welt. Seinen ersten Bühnenauftritt seit fünf Jahren absolviert er zwar stilsicher im Kilt, er macht sich aber gleich unbeliebt, als er das (ohnehin schon sehr spärliche) Publikum langwierig dazu auffordert, näher zusammenzurutschen. Seine Witze sind maximal halblustig und aufgrund seines schweren australischen Akzents nicht immer leicht zu verstehen. Auch er jongliert, auch wieder mit Schwertern, Fackeln und Kettensägen, zur Abwechslung allerdings auf einem über vier Meter hohen Einrad.

Natürlich sind alle diese Showacts irgendwie spannend, irgendwie auf eine lässige Art und Weise grauslich und üben eine ähnlich morbide Faszination aus, wie das Betrachten eines Horrorfilms.

Trotzdem zeigt dieser phasenweise Klamauk, diese krampfhafte Provokation, gut auf, welchen Wandel die westliche Tattookultur, oder das, was weitestgehend damit assoziiert wird, in den letzten Zweihundert Jahren vollzogen hat. Eine Kunstform, die um 1800 durch Zeichnungen von tätowierten Südseebewohnern Aufmerksamkeit in Europa und Nordamerika erlangen konnte, ursprünglich ein dem Adel vorbehaltener und versteckt getragener Schmuck war (man denke an den sagenumwobenen Anker der Kaiserin Sissi), wurde immer massentauglicher, breitete sich in allen sozialen Schichten aus und ist heute, auch durch das Zutun großer Messen wie der Wildstyle im Mainstream angekommen.

Der „Wir leben am Rande der Gesellschaft“-Stempel

Und trotzdem, obwohl heute fast jeder Vierte Tattoos trägt, haftet dem Ganzen, vor allem unter sogenannten „Reinhäutern“ immer noch (oder immer mehr?), das stereotype Klischee des Primitiven, des Proletigen an. Und wenn es auf einer Tattoomesse wesentlich darum geht, selbsternannten Freaks bei der Selbstschindung unter dem Deckmantel der Kunst zuzusehen, darf man sich nicht wundern, wenn dieses Bild in der Öffentlichkeit noch lange nicht korrigiert sein wird, Tätowierte auch weiterhin diesen „wir leben bewusst am Rande der Gesellschaft“-Stempel aufgedrückt bekommen. Aber vielleicht wollen das manche ja.

Fotos: Lisa-Viktoria Niederberger

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