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Die schönen Mädchen und das Biest

Schöne Mädchen und das Biest

Jeff Epstein hat es vom Studienabbrecher zum erfolgreichen Investmentbanker gebracht. 2019 wurde der Multimillionär angeklagt: Er soll einen Prostitutionsring mit minderjährigen Mädchen geführt haben. Wie der „American Dream“ für viele Frauen zum Albtraum wurde – und wofür mächtige Männer junge Frauen „gebrauchen“.

Er war einmal ein Mann, der alles und noch viel mehr hatte: Jeff Epstein war ein US-amerikanischer Investmentbanker, der es vom Studienabbrecher über eine kurze Karriere als Lehrer, die mit Rausschmiss endete, zum Multimillionär brachte. Ein Mann, der plötzlich mit Models, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Promis verkehrte und als einer der einflussreichsten Männer Amerikas galt. Was von außen aussieht, wie der wahr gewordene amerikanische Traum, ist in Wirklichkeit die Geschichte eines Emporkömmlings, der sein frühes Scheitern nie so recht verschmerzte – und Minderjährige dafür bezahlen ließ.

Der Aufstieg des Jeff Epstein

Über Jahre hinweg baute Jeff Epstein einen Prostitutionsring mit minderjährigen Mädchen auf. Er lockte junge Mädchen aus sozial schwachen Familien mit einem glamourösen Leben, versprach ihnen sogar Geld, wenn sie andere junge Mädchen „rekrutierten“. Die Justiz schaute lange weg: Bereits 2005 erstatteten die Eltern eines vierzehnjährigen Mädchens Anzeige gegen den New Yorker, der die Minderjährige in seiner Villa in Palm Beach sexuell missbraucht haben soll. Dreizehn Monate Ermittlung folgten. Über 50 mutmaßliche Opfer meldeten sich im Zuge der Untersuchung bei der Polizei. Eine außergerichtliche Einigung mit Trumps späterem Arbeitsminister Alexander Acosta bewahrte Epstein vor einem Urteilsspruch: Gerade mal 18 Monate Haftstrafe musste Epstein absolvieren – bis zu zwölf Stunden Freigang hatte er pro Tag. Epstein verbrachte also lediglich die Nächte im Gefängnis. Nach 13 Monaten wurde er wegen guter Führung aus der Haft entlassen. 2019 erhärteten sich die Beweise gegen ihn erneut. Hunderte Mädchen soll er, gemeinsam mit seiner Vertrauten und Ex-Freundin Ghislaine Maxwell, zur Prostitution angestiftet und in seinen Häusern in New York und Florida sowie auf seiner Privatinsel Little St. James, die als „Orgy Island“ bekannt war, missbraucht haben.

Bill Clinton, Donald Trump, Prinz Andrew: Die Namen der mächtigsten, einflussreichsten Männer der Welt tauchen in Epsteins Netzwerk auf. Man reiste gemeinsam, machte Geschäfte, netzwerkte untereinander. „Er mag schöne Frauen, genau wie ich. Manche davon sind sehr jung“, so Donald Trump über Epstein in einem Interview. Dass Epstein Mädchen „bevorzugte“, die kaum 14 Jahre alt waren, darüber schwieg man in der High Society. Solange Geld und Champagner flossen, fragte niemand nach. Bis er 2019 festgenommen wurde. 2020 sollte der Prozess folgen, doch am 10. August 2019 nahm sich Epstein in seiner Zelle im Metropolitan Correctional Center in New York das Leben. Im Falle einer Verurteilung hätten ihm 45 Jahre Haft gedroht.

Bedürftig nach Macht

Der Multimillionär und die jungen Mädchen: Wie kann das passieren? Wie profitieren mächtige Männer von jungen Frauen und warum konnten sich die Mädchen nicht wehren? Fragen, die sich viele stellen. Die österreichische Psychologin und Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien, Brigitte Sindelar, sieht in solchen Machenschaften einen Minderwertigkeitskomplex, der mit der Ausübung von Macht über junge Frauen kompensiert wird:

„Wer bedürftig ist nach Macht, der muss etwas ausgleichen, und zwar das Gefühl der Minderwertigkeit und der Ohnmacht. Ansonsten wäre Macht einem Menschen nicht wichtig.“ Die Biografie Epstein zeige, dass er vielfach gescheitert ist. „Er ist aus der Schule geflogen, hat das Studium nicht abgeschlossen, seinen Job als Lehrer verloren. Das bedeutet, er hatte viele Versagenserlebnisse im Jugendalter und als junger Erwachsener“, so die Psychologin. Nur, weil ein Mensch eine erstaunliche wirtschaftliche Karriere gemacht hat, heiße das nicht, dass er sich in allen Aufgaben des Lebens mächtig fühlt, erklärt Sindelar: „Die Lebensaufgabe Beruf ist Epstein nach diversen Versagenserlebnissen gelungen. Aber das bedeutet nicht, dass der Mann eine Partnerschaft oder das Leben in der Gemeinschaft erfolgreich meistert.“

„Das Machtgefälle hier ist eindeutig.“

Ein älterer Mann, der sich mit jungen Frauen dekoriert, strebt nach Macht und Anerkennung. „Ein Mann bekommt durchaus Applaus von der Männerwelt dafür“, so Sindelar. „Es ist eine unausgesprochene Fantasie, dass dieser Mann keine Potenzprobleme hat – obwohl das natürlich in der Realität keinesfalls so sein muss.“ Auch die Tatsache, dass die Mädchen in diesem Fall systematisch verdinglicht und anderen Männern als Geschenk angeboten wurden, zeigt, dass Epstein sich die Anerkennung anderer Männer erkaufen wollte. „Er hat junge Mädchen nicht nur für sich selbst als Beleg seiner Attraktivität gebraucht: Er hat sie an andere Männer verkauft und sie zur Prostitution gezwungen. Er hat das getan, um sich bei anderen Männern beliebt zu machen.“

Jünger zu sein bedeutet automatisch weniger Lebenserfahrung. Hebephilie nennt man die sexuelle Präferenz Erwachsener für Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren, erklärt Sindelar. Diese Präferenz werde strafrechtlich und auch im Fachkreis der Professionen immer wieder diskutiert. „Man muss die Persönlichkeit des jungen Menschen mitbedenken. Schließlich ist es für die Jugendlichen, speziell in diesem Fall, eine ungewöhnliche Situation: Ein mächtiger, erfolgreicher Mann interessiert sich für sie. Das kann einen schwachen Selbstwert aufpolieren“, erklärt die Psychologin. Somit geht es nicht nur um den Selbstwert des wirtschaftlich mächtigen Mannes, sondern auch um den Selbstwert der Jugendlichen: „Das Machtgefälle hier ist eindeutig.“

Eine Geborgenheit, die keine ist

Über die Opfer zu spekulieren, birgt das Risiko, eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, mahnt Sindelar. Trotzdem stellt man sich im Falle Epstein aber eben auch die Frage: Warum haben sich die Mädchen darauf eingelassen? „Man kann das vielleicht so erklären, dass bei diesen jungen Mädchen ein existenzielles Bedürfnis nach Sicherheit vorhanden war“, vermutet die Psychologin. „Mädchen aus sozial und wirtschaftlich schwächeren Familien, die die Aufgabe der Erwerbsarbeit für sich noch nicht gelöst haben, haben einen Mann vor sich, der diese Lebensaufgabe offenbar gut gelöst hat.

Wenn junge Menschen Zweifel daran haben, dass sie diese Lebensaufgabe meistern können und ihnen dann dieser Mensch quasi einen „Ausweg“ bietet, sie sich also dieser Aufgabe nicht stellen müssen, weil er sie für sich selbst und auch für sie gelöst hat, dann entsteht diese wechselseitige Anziehungskraft.“ In solchen Fällen haben junge Frauen oft das Gefühl einer Geborgenheit, die aber keine ist. Mädchen aus sozial schwachen Familien, Mädchen mit geringem Selbstwert, sind für solche Männer oft leichte Beute und ihnen völlig ausgeliefert.

„Es ist oft erstaunlich, wie lange Menschen dieses Machtgefüge in einer Beziehung ertragen können.“

„Macht und Ohnmacht liegen nah beieinander. Die Mädchen fühlen sich instrumentalisiert, wie ein Objekt und nicht mehr als Subjekt, aber dennoch in einer Scheinsicherheit“, erklärt Sindelar. Wie fatal ein geringer Selbstwert sein kann, zeigt das Extrembeispiel Epstein. Ungleiche, ausbeuterische Machtverhältnisse liegen allerdings in abgeschwächter Form in vielen Beziehungen vor – und betreffen somit mehr Menschen, als man zunächst vermutet. Viele junge Frauen leben in Partnerschaften nach dem Motto, „Ich fühle mich dann sicher, wenn ich von dir ausgenutzt werde, weil ich dann zugleich das Gefühl habe, dass ich von dir gebraucht werde“, erklärt Sindelar. „In der Doppeldeutigkeit des Wortes ‚gebraucht’: Es ist oft erstaunlich, wie lange Menschen dieses Machtgefüge in einer Beziehung ertragen können.“

Selbstwert statt blinder Gehorsam

Aus solchen Beziehungen zu entkommen, ist für Betroffene oft sehr schwer und bedarf häufig psychologischer Begleitung. Manche leiden ein Leben lang unter den Folgen. Was kann man tun, um junge Frauen vor so einem Schicksal zu schützen? „Wir müssen Kinder für ihre Gegenwart, aber auch für ihre Zukunft schützen, indem wir ihren Selbstwert stärken“, so die Psychologin. „Wir müssen Kindern beibringen, dass sie ein Recht darauf haben, Nein zu sagen, auch wenn das unbequem für die Erwachsenen sein kann.“ Denn solange man Kinder zum blinden Gehorsam erzieht, erreicht man damit nur, dass sie möglicherweise auch den Falschen gehorchen.

Sinah Edhofer ist Journalistin (NEWS) und Podcasterin beim Sex- und Beziehungspodcast „Couchgeflüster“ (Spotify/FYEO).


Dieser Text ist zuerst im QWANT. Magazin (Ausgabe 10, 2019) erschienen.

Titelbild: Eric Ward on Unsplash 

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