Wer fürchtet sich vor HIV?

Foto von Philipp Spiegel

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Philipp ist Fotograf in Wien, charmant, Single. Einer, der die Frauen und das Liebemachen mit ihnen liebt. Aber wenn Philipp zum ersten Mal mit Frauen schläft, verschweigt er ihnen eine Kleinigkeit. Nämlich, dass er das HI-Virus in sich trägt.

Denn von den Frauen, die vor dem ersten Sex über seine Infektion erfahren haben, ist keine geblieben. „Dann bin ich abgestempelt, dann bin ich der HIV-Positive. Und dann regiert nur mehr Angst. Bei Frauen, denen ich’s erst später gesagt habe, war das anders.“ Was dann folgte, war betretenes Schweigen, schließlich Neugierde. „Bisher haben es alle verstanden und gemeint, andernfalls hätten sie mich nicht kennengelernt.”

Dann beginnt für Philipp die Aufklärungsarbeit: Das HI-Virus kann er nicht weitergeben. Sobald sich positiv Diagnostizierte wie er einer antiretroviralen Therapie unterziehen, sind nach spätestens sechs Monaten keine HI-Viren mehr in Sperma und Scheidenflüssigkeit nachweisbar. Zu diesen bahnbrechenden Ergebnissen kam die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen Schweiz schon 2008. In dem Text, der als „Swiss Statement“ in die Geschichte der Aidsforschung einging, steht schwarz auf weiß: HIV ist unter einer gut wirksamen Therapie beim Sex nicht übertragbar.

Foto Philipp Spiegel

Zehn Jahre und unzählige Studien später konnte die Nicht-Übertragbarkeit mehrfach bewiesen werden. In Australien, erzählt Philipp, wurden 16.000 Geschlechtsakte in der Konstellation HIV-negativ und HIV-positiv überprüft. Das Resultat: Null Ansteckungen. Grundvoraussetzung dabei bleiben die regelmäßige Tabletteneinnahme und Blutproben. Auch das Gesetz steht hinter Philipp: Safer Sex zwischen einer infizierten und einer nicht infizierten Person ist straffrei, auch dann, wenn der/ die negative Geschlechtspartner* in nicht über die Infektion informiert wurde. Seit 2010 erkennt das Justizministerium an, dass die konsequente Anwendung der antiretroviralen Therapie ebenfalls als Safer Sex gilt, sobald die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Gesetz und Medizin sind sich einig: Sex mit HIV Positiven unter Medikation, auch ohne Kondom, ist straf- und risikofrei. Das heißt, Philipp könnte auf Kondome verzichten, ohne jemanden anzustecken, tun will er das dennoch nicht.

Dieses Wissen ist auf die breite Masse der Bevölkerung aber noch längst nicht übergeschwappt. „Die Gesellschaft ist noch auf dem Stand der Neunziger Jahre. Mir selbst wurde das damals reingeprügelt. Die Neunziger Jahre waren die Zeit von Freddie Mercury und den großen Aidsepidemien“, sagt er. Selbst in den Zweitausendern, als schon die Ansteckung zwischen Mutter und Kind gebannt war und es erste Studien zu adäquaten Therapien gab, erschöpfte sich der oftmals bescheidene Sexualkundeunterricht an Schulen meist in der Botschaft: Zieh ein Kondom über, gib Aids keine Chance.

Fundiertem Aufklärungsunterricht sollten aber noch andere Botschaften zugrunde liegen, findet Philipp. Dass Prävention damit beginnt, seinen eigenen Status über HIV zu kennen, zum Beispiel. Und dass HIV-Positive ein weitgehend normales Sexualleben führen können, ohne gesellschaftlich geächtet oder gefürchtet werden zu müssen. Das eigentlich Interessante, sagt er, ist, dass einzig Homosexuelle mehrheitlich über Begriffe wie Nachweisgrenze und Viruslast Bescheid wüssten. Die meisten Heterosexuellen in Österreich hätten davon keine Ahnung.

„Am Land redet niemand über Sex, die Leute bescheißen links und rechts, aber man redet nicht darüber. Am liebsten sind mir die, die nach Monogamie schreien. Ironischerweise stecken sich trotzdem Menschen in monogamen Beziehungen an.“

In Spanien, wo Philipp seine zweite Heimat gefunden hat, sei der Wissensstand ein anderer. Vor allem am Land sei in Österreich die Unwissenheit über HIV sehr groß, meint Philipp. Dort gelte HIV meist nur als Drogen- und Schwulenkrankheit. Und weil es am Land weder Schwule noch Drogen gibt, gebe es theoretisch auch kein HIV. „Am Land redet niemand über Sex, die Leute bescheißen links und rechts, aber man redet nicht darüber. Am liebsten sind mir die, die nach Monogamie schreien. Ironischerweise stecken sich trotzdem Menschen in monogamen Beziehungen an.“ So sei das auch in den osteuropäischen Staaten und in Russland.

Russland hat sich zu einer HIV-Hochburg entwickelt und dennoch wird das Thema von der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Schätzungsweise 0,5 Prozent der russischen Bevölkerung trägt das Virus zum Teil unwissend in sich. Auch in Ungarn behandelt man HIV noch mit Medikamenten aus den Neunzigern,dort ist das Virus weiterhin als Schwulenkrankheit verschrien.

Krebs hat man, aber HIV holt man sich, weil man mit anderen schläft.

In konservativen Staaten, wiederholt Philipp, gebe es keine öffentliche Diskussion über HIV. Es trägt immer noch den Ruf einer schmutzigen Krankheit, sagt er. Eben weil es mit Sex zu tun hat. Und auch noch selbstverschuldet ist. Krebs hat man, aber HIV holt man sich, weil man mit anderen schläft.

So ist es auch Philipp passiert. Vor fünf Jahren hat er sich beim Oralverkehr über Menstruationsblut infiziert. Mit einer Partnerin, die zu diesem Zeitpunkt selbst nichts von ihrer Infektion wusste. Sie war hochinfektiös, weil sie sich selbst gerade angesteckt hatte. Durch einen offenen Umgang mit Sex gehe auch eine Diskussion über Geschlechtskrankheiten einher. Darüber zu reden fällt vielen trotzdem noch schwer. Ob und wann denn die Frage zu HIV überhaupt angemessen ist?

Philipp lacht. „Wenn es klassisch ist unter halbwegs gebildeten Bobo-Hipstern, lernt man sich kennen, schläft einmal miteinander, schläft dreimal oder viermal miteinander und hört dann auf, Gummis zu verwenden. Weil man sich da schon kennt, unter Anführungszeichen. Dawäre dann eine Konversation über Geschlechtskrankheiten aber notwendig. Was dann die meisten nicht machen.“

Mittlerweile ist Verhütung für ihn auch eine Frage des Selbstschutzes. „Ich kann es mir nicht leisten, mir noch einen Scheiß einzufangen.“ Am Anfang, erzählt er, war da nur Angst. Der erste Sex nach der Medikation hatte sich wie ein Sextrauma angefühlt. Gedanken seien durch den Kopf gerast, er hatte befürchtet, die Frau anzustecken. Nach zwölf Sekunden war es dann vorbei. Er lacht wieder. „Das waren die zwölf erbärmlichsten Sekunden meines Lebens.“ Und wird ernst. „Es war eine Scheißzeit nach der Diagnose. Aus der Sexualität zieht man ja viel Lebensenergie.“

Jetzt sagt Philipp, dass er bei einem One Night Stand die sicherste Option sei.

Teile seines sexuellen Selbstbewusstseins hatte ihm die Diagnose weggenommen. Jetzt haben sich die Dinge geändert. Jetzt sagt Philipp, dass er bei einem One Night Stand die sicherste Option sei. Er sagt auch, dass er HIV nicht verharmlosen will, sondern Bewusstsein dafür schaffen. Das stoße vielen aufs Gemüt. „Aber es stimmt: Ich weiß, was ich habe, ich werde alle drei Monate überprüft. Ich weiß, wie es meinem Status geht. Wer kann das schon von sich behaupten?“ Geheilt ist er deswegen nicht. Aus medizinischer Sicht ist Heilung auch noch nicht möglich. „Aber was ist Heilung? Ich werde so alt wie alle anderen, ich kann Kinder zeugen, die nicht HIV-positiv sind und bin in keiner Weise eingeschränkt. Eine medizinische Heilung ist es nicht, aber ist es nicht eine persönliche Heilung?

Da geht es dann zurück zur Diskussion, soll ich es einer Person, mit der ich schlafe, sagen oder nicht?“ Dann denke er, nein, das gehe sie nichts an. „Als würde ich ihr von meinem Bluthochdruck erzählen.“ Das Virus vorerst zu verschweigen ist für Philipp eine logische Konsequenz aus dem generellen Unwissen. „Wenn es was Ernstes werden soll, geht es sie was an. Aber alles zu seiner Zeit.“


Dieser Artikel ist zuerst im QWANT. Magazin (Ausgabe 1/2018) erschienen. Danke an Philipp Spiegel für die Bereitstellung der Fotos. Philipp Spiegels Blog findet ihr übrigens hier.

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