Was wurde eigentlich aus der Bergprinzessin?

Die letzte Bergprinzessin ist ins Tal gezogen

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Ein Jahr ist es mittlerweile her, dass wir Silvia am Kapuzinerberg in ihrem Wehrtürmchen besucht haben. Jetzt haben wir sie wiedergetroffen.

„Bergmenschen“ haben die Salzburger früher die Wohnungslosen genannt, die ihr Zuhause in den Wehranlagen am Kapuzinerberg eingerichtet haben. Bis die Stadt die Türme aus Sicherheitsgründen verschlossen und die Bergmenschen zurück ins Tal geschickt hat. Silvia war die letzte von ihnen. 17 Jahre lang hat sie dort gewohnt, wo Touristen, Sonntagsspaziergänger*innen und Jogger*innen in Scharen an ihr vorbeigezogen sind. Sie hat oft stundenlang vor ihrem Türmchen gesessen, den Menschen ihrer Zeit beim Vorbeiziehen zugeschaut. Für Silvia selbst stand die Zeit am Kapuzinerberg still. An einem Frühlingstag letzten Jahres habe ich sie in ihrem Reich besucht und mit ihr zusammen in den Regen geschaut, den das Wehrtürmchen nur notdürftig ausgesperrt hat. „Alle nennen mich hier die Bergprinzessin“, hatte sie mir damals gesagt. „Dabei bin ich doch keine Prinzessin.“ Und jetzt, ungefähr ein Jahr später, treffe ich die letzte Bergprinzessin wieder.

Schon gelesen: Hier geht es zum Originalartikel der „letzten Bergprinzessin“

Unser Aufeinandertreffen findet im Vinzi Dach in Salzburg statt. Hier werden Langzeitobdachlose bei der Wohnungssuche unterstützt und Unterkünfte vermittelt. Hier haben sie auch Silvia bei ihrem Umzug geholfen. Denn, das hat man mir schon im Vorab erzählt, die letzte Bergprinzessin ist ins Tal gezogen. Sie sitzt vor mir, wippt mit den Beinen und ist immer noch dieselbe zierliche kleine Frau mit den stahlblauen Augen, die ihr Gesicht mit einer Mütze beschattet. Ob sie sich an mich erinnert, frage ich sie. An unseren verregneten Frühlingsnachmittag am Kapuzinerberg und Silvia erinnert sich. „Deswegen kennen mich jetzt so viele. Wenn ich in die Stadt runtergehe, fragen manche, darf ich ein Foto machen? Nur Paparazzi überall.“ Und sie kichert. Die Leute, die sie auf der Straße ansprechen, sagen dann immer dasselbe, fügt sie hinzu. „Sie sagen immer: ‚Ich könnte das nicht, in so einem Wehrtürmchen leben. Im Sommer schon, aber im Winter würde ich das nicht durchdrücken.‘ Aber ich bin abgehärtet. Viel Tee trinken. Und einen warmen Schlafsack hat mir der Bruder Hans von den Kapuzinern auch gegeben.“

„Nachdem ich miterlebt habe, wie der Heiko gestorben ist, hatte ich Albträume.“

Lange Zeit war Silvia am Kapuzinerberg nicht alleine. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Heiko hat sie im untersten Türmchen gewohnt, während alle anderen schon längst verschlossen waren. Dann ist Heiko gestorben und Silvia hat ihn sterben sehen. „Nachdem ich miterlebt habe, wie der Heiko gestorben ist, hatte ich Albträume. Ich habe immer gedacht, er sitzt in dem Wehrtürmchen neben mir und redet mit mir.“ Den Tee, den sie vor sich stehen hat, rührt sie nicht an. Wie das denn nun in der neuen Wohnung ist, frage ich und erinnere mich an dieselben eindringlichen Augen, die mir damals von Heikos Tod und ihren Hallus erzählt haben. „Die Albträume haben in der Wohnung aufgehört.“

Die letzte Bergprinzessin und Veronika Ellecosta
Veronika Ellecosta hat Silvia, die letzte Bergprinzessin, wieder getroffen.

Alleine am Kapuzinerberg wurde es auch gefährlich. „Abends sind immer Leute um mein Türmchen herumgeschlichen und während ich in der Stadt war, hat man mich beklaut.“ Und immer wieder Albträume. Seit Jahren haben die Sozialarbeiter*innen Silvia in ihrem Wehrtürmchen besucht. Wehrtürmchen sagt sie immer wieder liebevoll, während sie von ihrem damaligen Zuhause spricht. „Sie haben mir schon sehr lange eine Wohnung in Salzburg angetragen. Ich habe halt immer gesagt, Berg ruft. Aber alleine ist es auch fad.“ Und dann ist der Tag gekommen, an dem Silvia sich entschlossen hat, ins Tal zu ziehen. Das war der 7. Juli 2017, ihr Geburtstag. „Der Steirerbruder hat mich abgeholt und wir sind mit dem Taxi hinuntergefahren. Ich sage Steirerbruder zu ihm, weil er aus der Steiermark kommt, wie ich. Und er ist wie ein Bruder für mich.“ Öfters zurückgeschaut hat sie damals, als sie ins Tal gezogen ist, schon. Und viele Sachen aus ihrem Wehrtürmchen hat sie zurückgelassen. „Aber die waren ja sehr feucht und das wollte ich in meiner neuen Wohnung nicht haben.“

„Am Berg hatte ich mein kleines Türmchen und nun bin ich zwischen all diesen Riesen-Bauten. Und weißt du, was noch ungewohnt ist: der Fernseher.“

Jetzt wohnt Silvia in Itzling, hat Fenster und Türen in ihrem Heim und einen Balkon. „Ich habe schon eine Weile gebraucht, und ganz gewöhnt habe ich mich daran immer noch nicht.“ Grün ist es in Itzling, viele Bäume und einen Bach gibt es dort, erzählt sie mir. Und am Balkon wird sie demnächst einen kleinen Kräutergarten anlegen. Dabei gibt so vieles, an das sie sich erst gewöhnen muss: An die Elektrogeräte und die großen Wohnblöcke zum Beispiel. „Am Berg hatte ich mein kleines Türmchen und nun bin ich zwischen all diesen Riesen-Bauten. Und weißt du, was noch ungewohnt ist: der Fernseher.“ Möbel und Einrichtungsgegenstände hat Silvia vom Sozialamt erhalten, aber einen Fernseher hat sie sich selbst gegönnt. Für die langen Abende, um sich abzulenken. „Weil am Abend kommt der ganze Haufen mit Heiko sonst immer. Und da schalt ich lieber den Fernseher ein.“

Die letzte Bergprinzessin Silvia vor dem Vinzi Dach

Dann sagt sie, dass sie nie mehr am Kapuzinerberg war, seit sie hinuntergezogen ist und ich bin überrascht. Weil sie nicht will, erwidert sie. „Zuerst muss ich mich an die Wohnung gewöhnen. Wenn ich sonst wieder hinaufmarschiere, will ich am Ende wieder oben bleiben. Ist so. Gehe ich hinauf, will ich oben bleiben. Berg ruft.“ Ob sie sich an The Crow die Krähe erinnern kann, frage ich sie. Ihren tierischen Freund am Kapuzinerberg, der sie überallhin begleitet hat. Und ob sie The Crow seitdem wiedergesehen hat. Silvia schüttelt den Kopf. „Er fliegt nicht runter in die Stadt und besucht mich“ und ich nicke: „Berg ruft.“


Der erste Artikel zur „Bergprinzessin“ ist im QWANT. Magazin in der Ausgabe 2/2017 erschienen. Das QWANT. kann ganz einfach online bestellt werden. Bitte vergesst nicht, in das Kommentarfeld die Ausgabe zu schreiben, die ihr nachbestellen möchtet.

Ein großes Dankeschön geht an die Sozialarbeiter*innen vom Vinzi Dach, die ein Wiedersehen mit Silvia ermöglicht haben!

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