Schnitzel und Sperma im Auge

„Warum zur Hölle gehst du am Wochenende in den Swingerclub!?“, haben mich alle ganz schockiert gefragt und ich hab gesagt, dass ich gehört habe, dass das jetzt anscheinend ganz in ist, so unter Singlefrauen.

Dass man da ungehemmt seinen Gelüsten frönen kann, man sich die dumme Tinderwischerei und schlechte erste Dates, das Aufreißen von irgendwelchen Typen, die nach dem fünften Bier eh nicht mehr können, erspart. Dass das alles sicher ist und super, weit nicht so grindig, wie man sich das vorstellt. Ich hab mich also in meine Lieblingskorsage aus Gruftitagen geschmissen, es genossen, mich endlich mal richtig nuttig zu schminken, meine beiden Begleiter eingepackt und bin in ein Kaff eine gute Autostunde von Salzburg entfernt gedüst, um fremden Menschen beim Sex haben zuzusehen.

Der Parkplatz ist gedroschen voll, an den Kennzeichen erkennt man die breiten Wege, die manche Gäste zurückgelegt haben, da sind nicht nur Leute aus Salzburg, Oberösterreich und Bayern, man sieht auch Grazer*innen und Kärntner*innen. Wir vermuten, dass es sich dabei um Besucher*innen der nahe gelegenen Thermen handelt, die ihrem Aufenthalt hier einen extra Kick verpassen wollen. Nachdem wir geklingelt haben, empfängt uns der Chef sehr freundlich, weist uns Umkleidekabinen zu und kassiert den Eintrittspreis.

"Ich trage Korsage, Strapse und Heels in denen ich knapp zehn Zentimeter größer bin, als sonst."

Fünfzig Euro als Pärchen, fast das Doppelte für den Singlemann, dafür ist alles inklusive: Kalte und warme Speisen vom Buffet, Getränke mit und ohne Alkohol, Duschen, Handtücher, Kondome. Über den Dresscode haben wir uns vorher im Internet schlau gemacht, ich trage Korsage, Strapse und Heels in denen ich knapp zehn Zentimeter größer bin, als sonst. Die Jungs sind schlichter unterwegs, Hemden, Jeans, schöne Schuhe.

Besuch im Swingerclub in Salzburg

Im Barbereich, mit dem ersten Seiterl in der Hand, erschlagen mich die Eindrücke. Wir sind mit Abstand die Jüngsten, unter Fünfzig sind hier wenige. Meine Jungs haben viel zu viel an, die meisten Männer tragen schwarze Oberteile, dazu sexy Unterwäsche in diversen Ausführungen. Da ist viel Netz und Lack und Leder, da sind Aussparungen, die den Einblick auf Körperstellen freigeben, die ich eigentlich noch nicht sehen möchte. Manche tragen überhaupt nur Handtücher um die Hüften und Birkenstockschlapfen, obwohl beides in der Szene als verpönt gilt.

Den Sex, den hat man im ersten Stock

Beim Essen kommen die Leute zusammen, also machen wir uns bald übers Buffet her. Und ja, es ist komisch, sich Schnitzel und Gulaschsuppe reinzustopfen, wenn man nur Unterwäsche trägt, umgeben ist von Menschen, die ebenso nur Unterwäsche tragen und dabei über Allfälliges reden, die Enkelkinder, das bald notwendige Wechseln der Winterreifen. Außer den gelegentlichen liebevollen Berührungen unter Eheleuten, ein paar Bussis und Umarmungen unter Bekannten, passiert hier nichts, im Buffetbereich herrscht aus Hygienegründen striktes Sexverbot.

In dem Etablissement, das wir uns ausgesucht haben, kann man zwischen mehreren Räumen wählen: Eine große Spielwiese gibt es da, es sind mehrere Matratzen nebeneinander und das Ganze hat ungefähr so viel Charme wie ein Gruppenlager auf einer Berghütte der Naturfreunde. Romantischer ist das schon ein Doppelzimmer mit schön schummriger Beleuchtung, in dem auch jetzt, gegen halb zehn, schon ein Pärchen fleißig am Werkeln ist. Man kann ihnen durch eine Glasscheibe in der Tür zusehen, tun wir aber nicht, da sind so viele Singlemänner davor, man müsste sich richtig vorbeiquetschen an ihnen und ich versuche nach wie vor, Hautkontakt mit Fremden zu vermeiden.

In einen anderen Raum läuft ein Porno aus den Neunzigern, ich behaupte das aufgrund der Dauerwelle, die auch die männlichen Darsteller tragen. Es tut sich noch wenig, im BDSM Bereich hängt ein böses Mädchen am Andreaskreuz und lässt sich den Hintern verdreschen, im Raucherbereich unterhalten sich der Chef und ein Gast über gemeinsame Bekannte im Hefn und das Heckenschneiden, in der Küche dahinter wird die nächste Ladung Schnitzel frittiert.

Ich will Sex sehen, vielleicht auch haben, zumindest versuchen zu verstehen, was es ist, dass die ca. 90 Leute an diesem Samstagabend hierher gebracht hat.

Wir landen wieder an der Bar, trinken mehr Bier und plötzlich ist es einfach ein total nettes Fortgehen. Die Jungs reden über Motorsägen und die Wirtschaftskrise, ich wippe mit meinen bestrapsten Beinen und leicht einem Sitzen zu den besten 80ies Rock und Pop Hits, gratuliere dem Chef mehrmals zu seiner Playlist und den lässigen Übergängen, wir führen netten Smalltalk über die Gastro und ich denke mir, so einen entspannten Abend hatte ich schon lange nicht mehr, bis sich aus einem Pulk Männer einer löst, zu uns kommt, mir auf die Schulter tippt und sagt:

„ Entschuldige, ich will dich ja echt nicht anmachen, aber wir wollten dir nur sagen, du bist mit Abstand heute die schärfste Frau hier!“

Ich bedanke mich und dann schießt mir wieder, warum ich hier bin, und zwar nämlich nicht, um mich zu betrinken und Schmäh mit dem Barkeeper zu führen. Ich will Sex sehen, vielleicht auch haben, zumindest versuchen zu verstehen, was es ist, dass die ca. 90 Leute an diesem Samstagabend hierher gebracht hat.

Der Barbereich ist fast leer bis auf uns, also schnappe ich mir einen meiner Jungs, bitte den anderen das Bier zu bewachen und wage mich erneut in den ersten Stock. Dort sind mittlerweile so viele Leute, dass es sich im Gang vor den einzelnen Zimmern schon staut, wir uns vordrängeln müssen, um etwas zu sehen. In dem Raum mit der „Hundehütte“, einem Kasten mit einer Matratze und gut positionierten Löchern in den Wänden für die Zuseher*innen, kuschelt ein Pärchen. Wir haben vorher an der Bar gehört, dass es auch ihr erstes Mal hier ist, dementsprechend unsicher und krampfhaft sind ihre Berührungen. Sie zu beobachten fühlt sich irgendwie falsch an. Im Nebenraum, hinter dem Fernseher mit den Pornos, liegt eine knapp 50-jährige Frau auf einer Sexschaukel, wird von zwei Männern gleichzeitig bearbeitet und schreit, als hätte sie den Orgasmus ihres Lebens. Es ist kein affektiertes, übertriebenes Stöhnen, sondern aus ihrer Kehle dringt geballte Urkraft, es ist so unglaublich sexy, weiblich, cool. Sie ist so alt wie meine Mama und trotzdem ist es das schönste, erotischste, was ich jemals gehört habe.

Wieder unten in der Bar erklärt uns der Bierbewacher, dass uns eine große Menge an Singlemännern nach oben gefolgt ist, sie stehen auch jetzt alle unsicher in der Nähe, sichtlich enttäuscht, dass es von „uns Jungen“ nichts zu sehen gab. Niemand spricht uns an, kein fremder Mann startet Flirtversuche, wir denken, unsere Konstellation, unsere „Jugend“, mein komplett übertriebenes Outfit, das alles muss abschreckend wirken.

Neben ihm sitzt seine Frau, reibt sich das Auge, er entschuldigt sich dafür, dass sie nichts redet, sie ist grantig, hat Sperma ins Auge bekommen, dass das so brennt.

Um eins schließt das Buffet, bei uns am Tisch sitzt ein Fleischhauer aus Oberösterreich, der uns erklärt, dass er jetzt ganz schnell die eben verbrannten Kalorien wieder auffüllen muss, er stopft sich mit allem voll, was noch da ist: Räucherfisch, Dosenobst, Kiwis, Joghurt, Schlagobers direkt aus der Sprühflasche, während er uns erzählt, dass er seit er mit Fleisch arbeitet, keins mehr essen kann. Neben ihm sitzt seine Frau, reibt sich das Auge, er entschuldigt sich dafür, dass sie nichts redet, sie ist grantig, hat Sperma ins Auge bekommen, dass das so brennt. Wisst ihr das, dass Sperma brennt im Auge!? Wir nicken höflich in unseren Mohnstrudel.

Dann geht es plötzlich um Ausländerpolitik und ich flüchte mit seiner Frau in die Raucherloge. Sie ist die von vorher, die von der Schaukel. Ich schwärme ihr vor, wie sehr es mir imponiert hat, dass sie sich da so gehen lassen hat können, wie feministisch und lässig ich ihren lockeren Umgang mit Sexualität finde. Dass ich in dem Alter auch so sein will, so zufrieden mit mir und meinem Körper. Sie lächelt nur beseelt. Ihr Mann erzählt mir dann, dass sie komplett bekifft ist und schlägt mir vor, meine Jungs zu holen, dass wir es doch zu fünft probieren könnten, oder bloß wir, ich und seine Frau.

Ich lehne dankend ab, nicht nur aber auch, wegen dem unglaublich abtörnenden Geruch, nach Schweiß, Urin und Sperma der langsam aber sicher von oben zu uns zieht, und in Kombi mit dem Alk und der Korsage echt schlecht für meinen Kreislauf ist.

Ich sage, der Abend war lang, der Weg zurück nach Salzburg ist weit. In den Umkleidekabinen sucht eine nackte Frau panisch nach ihrem Toiletttäschchen, das jemand gestohlen oder versteckt hat. Und während sie mit spitzen Fingern kiloweise vollgesaute Handtücher aus dem Wäschekorb zieht um darunter zu suchen, gibt sie mir eine Lebensweisheit mit: Schau auf dein Zeug, Mädchen, nicht einmal hier kannst du den Leuten vertrauen. Es geht alles bergab. Ich nicke, wir und zahlreiche andere tauschen unsere knappe Unterwäsche wieder gegen Straßenkleidung, es wird noch ein kollektives Pfiat Eich in die Runde gerufen und höflich erwidert, wir verlassen das Paralleluniversum Swingerclub nach einem Handschlag vom Chef, der hofft uns bald wieder begrüßen zu dürfen.

Text: Lisa-Viktoria Niederberger, Illustration: Julia Aichinger

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