Fotos: Fabia und Sina Klinger
Nach einigen Woche Corona-Quarantäne haben wir euch gefragt, was ihr aktuell so tut. Dabei ist uns aufgefallen, dass dreiviertel der Antworten waren: Couch liegen, Netflix, putzen, kochen, sich ab und zu umdrehen (wenn es sein muss). Wer sind dann aber das Viertel, das sich jetzt den Arsch abrackert? Zum Beispiel die Schwestern Sina und Fabia. Sie arbeiten in einer Steuerberatungskanzlei.
Warum geht es in Steuerberatungskanzleien gerade so zu?
Viele unserer Klient*innen sind aufgrund der Corona-Krise sehr angespannt und nervös. Es ist eine komplett neue, noch nie da gewesene, Situation, die mit viel Unsicherheit verbunden ist. Das führt dazu, dass täglich sehr viele Menschen bei uns anrufen und E-mails schreiben. Es gibt Tage, an denen wir nur am Telefonhörer hängen und E-mails beantworten so gut es geht. Leider ist es oft frustrierend den Klient*innen zu sagen, dass wir auch nicht mehr Informationen haben, als veröffentlicht sind. Oft wollen Klient*innen aber nur jemanden, mit dem sie über ihre Probleme reden können, um sich ein wenig zu beruhigen. Wir sind daher momentan nicht nur Berater, sondern auch seelischer Beistand.
Eine der Hauptarbeiten liegt darin, die Leute aufzuklären, dass gewisse Dinge, wie in den Medien berichtet, nur zum Teil stimmen und es eben nicht einfach „Geld geschenkt gibt“.
Was ist die Hauptarbeit derzeit?
Die Hauptarbeit besteht momentan im Telefonieren, E-Mails beantworten und dem Up to date zu den diversen Corona-Hilfspaketen und Zuschüssen zu bleiben – und eben in der individuellen Beratung in Zusammenhang mit der derzeitigen Situation. Aber auch darin, die Leute aufzuklären, dass gewisse Dinge, wie in den Medien berichtet, nur zum Teil stimmen und es eben nicht einfach „Geld geschenkt gibt“. Oft sind die Leute den ganzen Tag zuhause, schauen Nachrichten und lesen Zeitung, rufen uns dann an und konfrontieren uns damit. Wir sind meist diejenigen, die den Leuten sagen müssen, dass sie nicht ganz das bekommen, was ihnen von der Politik versprochen wurde – und schon gar nicht sofort.
Was die Menschen momentan frustriert, ist die Ungewissheit wie es weiter geht und wann sich das Ganze wieder erholt. Einige wissen schon, dass ihr Unternehmen die Krise wahrscheinlich nicht überstehen wird, was sehr traurig ist.
Wie geht es euren Klient*innen? Wie ist die Stimmung unter den Unternehmer*innen?
Die Klient*innen sind, wie gesagt durch die Bank angespannt, was sehr verständlich ist, weil alles so ungewiss ist und sie fürchten, dass ihre Existenzgrundlage wegfallen könnte. Man muss sich das mal vorstellen: Viele Menschen leben von ihren kleinen Betrieben, die sie sich über die Jahre selbst aufgebaut haben – und von heute auf morgen wird zugesperrt und die Einnahmen sind gleich Null. Viele Unternehmen haben auch nicht die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie Kurzarbeit für ihre Angestellten beantragen oder nicht, weil sie es sich schlicht nicht leisten können (die Kurzarbeit muss vorfinanziert werden, Zuschüsse bekommt man erst im Nachhinein). Unternehmen, denen es vor der Krise schon nicht so rosig ging, bekommen jetzt in der Krise auch keinen Kredit, so wie vorher. Was die Menschen momentan frustriert, ist die Ungewissheit wie es weiter geht und wann sich das Ganze wieder erholt. Einige wissen schon, dass ihr Unternehmen die Krise wahrscheinlich nicht überstehen wird, was sehr traurig ist. Für Unternehmen, denen es vor der Krise schon finanziell nicht so gut ging, ist das jetzt der „Todesstoß“.
Was sind die häufigsten Fragen?
Die meisten Fragen drehen sich derzeit um die Themen Kurzarbeit, Härtefallfonds (unser persönliches „Unwort des Jahres“), Steuer- und Sozialversicherungsherabsetzungen oder -stundungen, mögliche kurzfristige Finanzierungen und Beratungen im Einzelfall wie schlichtweg die Frage „Was soll ich jetzt tun?“.
Wie hat sich euer Arbeitsalltag geändert? Müsst ihr jetzt viel mehr arbeiten?
Unser Alltag hat sich seit Beginn der Krise sehr verändert. Themen, die zu Jahresbeginn besprochen wurden, gibt es jetzt nicht mehr, weil das Augenmerk auf ganz anderen Dingen liegt. Oft haben wir die Erfahrung gemacht, dass z. B. Banken ihre Arbeit für die Prüfung einer Kreditgewährung auf die Steuerberatungskanzleien abwälzen wollen, hier sind oft Klarstellungen erforderlich. Wir machen auch fast täglich Updates und Beiträge auf unserer Homepage sowie Aussendungen an unsere Klient*innen. In der Summe arbeiten wir momentan sicher mehr als sonst, weil wir uns auch Zuhause noch mit den Themen beschäftigen, um immer auf dem neuesten Stand zu sein.
Seit ihr im Homeoffice oder in der Kanzlei?
Als Steuerberatungskanzlei fallen wir unter die systemrelevanten Berufe. Eine komplette Umstellung auf Home-Office wäre nicht möglich. Ohne die Steuerberatungskanzleien würden beispielsweise viele Unternehmer*innen nicht wissen, was sie am Ende des Monats ihren Dienstnehmern und an Lohnabgaben zu zahlen haben. Wir sind beide in der Kanzlei, haben dort genug Platz, so dass jeder von uns in einem eigenen Büro sitzen kann. Einige Mitarbeiter*innen sind aber im Homeoffice, vor allem diejenigen, die Kinder haben. Persönlichen Klient*innenkontakt gibt es aber derzeit keinen. Unsere Klient*innen können ihre Unterlagen aber bei uns in unserem großen Unterlagen-Postkasten abgeben. Sicherheitsregeln haben wir in der Kanzlei auch – Hände desinfizieren, sofort, wenn man bei der Eingangstüre hereinkommt sowie regelmäßiges Hände waschen, nur Einzeln im Lift fahren und die Mittagspause (und sonstige interne Besprechungen) nur mit Sicherheitsabstand.
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Hat sich eure Arbeit inhaltlich stark verändert?
Ja, sehr. Wir haben beide den Großteil des Tages mit „Corona-Themen“ zu tun. Die eigentliche Arbeit bleibt leider oft liegen und verschiebt sich nach hinten. Normalerweise ist im März und April immer viel los bei uns mit Jahresabschlusserstellungen, Steuererklärungen und persönlichen Besprechungen. Derzeit ist diesbezüglich wenig bis gar nichts los. Auch wurden die Fristen bei den Finanzämtern verlängert, weshalb jetzt derzeit nicht so ein Druck herrscht, dass manches fertig werden muss. Wir sind viel damit befasst, uns immer am aktuellen Stand zu halten, das beinhaltet viel Recherchearbeit. Es gibt täglich Änderungen, die einfach nicht abschätzbar sind, wir können auch nur von Tag zu Tag reagieren, eine wirkliche Planung ist nicht möglich.
Was sind eure Tipps für Unternehmer*innen? Was sollen sie jetzt tun? Kontakt aufnehmen? Newsletter abonnieren?
Wir empfehlen unseren Klient*innen, sich zunächst ein wenig selbst zu informieren z. B. auf der Wirtschaftskammerseite oder unserer eigenen Homepage. Hier kann man sich für diverse Newsletter anmelden, um Up to Date zu bleiben. Wir machen auch Aussendungen an unsere Klient*innen und versuchen dort alles so einfach wie möglich zu beschreiben und Fragen schon vorab zu beantworten. Sollten sich dann noch Fragen ergeben, kann man natürlich mit uns Kontakt aufnehmen. Gerade die individuelle Situation jedes*r Klient*in lässt sich oft nicht aus den allgemein formulierten Beschreibungen auf z. B. der Seite der Wirtschaftskammer herauslesen, weshalb eine individuelle Beratung im Einzelfall oft unumgänglich ist. Auch werden nicht alle Einzelfälle abgedeckt, was zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen kann, dass gar kein Anspruch auf z. B. Auszahlung aus dem Härtefallfonds besteht, obwohl eigentlich ein Härtefall vorliegt.
Wie geht es euch persönlich mit der Situation? Was hat sich in eurem Leben verändert?
Zu Beginn des Jahres hatte wir viele Erstgespräche mit motiverten Menschen, die sich den Traum zur Selbständigkeit erfüllen wollten. Wir haben diese Leute bei der Erfüllung ihres Traumes unterstützt, haben mit dem Finanzamt, der Wirtschaftkammer, der Sozialversicherungsanstalt Kontakt aufgenommen, haben Business Pläne gemacht, mit Banken gesprochen usw., damit alles korrekt anlaufen kann. Diese Leute hatten z. B. ihren Job gekündigt und einen Kredit aufgenommen, um sich ganz auf ihre neue Tätigkeit konzentrieren zu können. Sehr traurig ist derzeit, dass viele dieser Menschen in den letzten Wochen Kontakt mit uns aufgenommen haben, dass sie jetzt arbeitslos sind und wir bitte quasi alles, was geht, rückgängig machen sollen. Das ist wirklich sehr, sehr schade und traurig. Man hat mit dem Klient*innen gemeinsam das Gefühl, das diese Arbeiten „fürn Hugo“ waren.
Wir sind ein Familienunternehmen, demnach geht es jetzt auch in der Familie fast nur noch um das Thema Corona.
Das Abschalten nach einem stressigen Arbeitstag geht auch nicht mehr so gut wie früher, weil man den ganzen Tag mit der Thematik konfrontiert ist und auch keine der zum Teil stündlichen Neuerungen und Änderungen verpassen und übersehen möchte. Wir sind ein Familienunternehmen, demnach geht es jetzt auch in der Familie fast nur noch um das Thema Corona. Es kommt eigentlich täglich vor, dass man sich nach der Arbeit noch in Themen einliest, weil man während der Arbeitszeit keine Zeit dazu hatte und am nächsten Tag aber am neuesten Stand sein muss. Es fühlt sich wie eine tägliche Wiederholung des selben Tages an: Aufstehen – in die Arbeit gehen – Corona-Telefonate führen – sich ärgern, über die fehlende Zeit – nach Hause fahren – Recherche und Diskussion – schlafen.
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