„Der Tod eines Kindes ist immer noch ein großes Tabuthema“

In Österreich kommen jedes Jahr schätzungsweise 10.000 bis 12.000 sogenannte Sternenkinder zur Welt – Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt versterben. Doch mit ihrer Trauer bleiben die Familien oft alleine. Drei Salzburgerinnen haben nun eine Selbsthilfegruppe für Sternenkind-Eltern ins Leben gerufen. Wir haben die beiden Mitgründerinnen Laura und Ruth zum Interview getroffen.

Wie kam es zur Gründung eurer Selbsthilfegruppe?

Ruth: Wir haben uns bei einem Trauma-sensiblen Yogakurs für Sternenkind-Mütter kennengelernt, das wir besucht haben, weil wir alle drei von dem Thema betroffen sind. Dort haben wir erstmals einen Raum zum Austausch mit anderen Sternenkind-Müttern bekommen, der für uns sehr wertvoll war. Als der Kurs dann zu Ende war, wollten wir diesen Raum nicht mehr missen und haben die Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen – als Teil des Dachverbands der Selbsthilfe Salzburg. Das erste Treffen hat im Mai 2024 stattgefunden, seitdem gibt es ungefähr ein Mal im Monat ein Treffen, und zwar im Kraftplatz Nonntal, also in jenem sehr schönen Raum, in dem wir uns damals beim Yogakurs kennengelernt haben.

Gibt es überhaupt Zahlen, wie viele Menschen von dem Thema betroffen sind?

Laura: Unsere Selbsthilfegruppe richtet sich an alle, die ihr Kind in der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurz nach der Geburt verloren haben. Dazu gibt es allein schon deshalb keine genauen Zahlen, weil Kinder, die bereits früh in der Schwangerschaft sterben, gar nicht erst statistisch erfasst werden. Man kann aber davon ausgehen, dass etwa jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt erleidet. Und wenn man offen mit der eigenen Geschichte umgeht, merkt man schnell, dass es wahnsinnig viele Betroffene gibt und fast jede*r jemanden kennt.

Ruth: Seit ich mit der Selbsthilfegruppe nach außen gegangen bin, bekomme ich oft private Rückmeldungen von Frauen, die sagen: „Danke, dass ihr das macht. Ich hätte genau das vor ein paar Jahren, manchmal auch Jahrzehnten, gebraucht.“ Aber jede geht damit auf unterschiedliche Weise um. Seit der Gründung der Gruppe haben ca. 30 Elternteile mit uns Kontakt aufgenommen – und es hat sich ein Kern von ca. 10 Sternenkind-Müttern gebildet, die immer wieder zu Treffen kommen. Wir sind weiterhin für neue Anfragen von Betroffenen offen – egal, wie lange es her ist und egal, wie viele Kinder nach den Sternenkind-Geburten zur Welt gekommen sind.

Was ist euer Wunsch für die Gruppe? Was wollt ihr erreichen?

Laura: Wir möchten jenen Austausch bieten, den wir uns am Anfang gewünscht hätten. Es redet sich einfach anders mit jemandem, der etwas Ähnliches erlebt hat. Und die Erfahrungen sind trotz aller Verschiedenheit oft sehr ähnlich. Zum Beispiel bei der Frage, wie das Umfeld damit umgeht.

Zu welchen Reaktionen kommt es dabei häufig?

Ruth: Der Tod eines Kindes ist ein Thema, das natürlich sehr betroffen macht und viele Menschen können damit nicht umgehen. Da kommt man als Sternenkind-Eltern dann in die Situation, dass man eigentlich die andere Person trösten muss. Das ist in der Gruppe nicht so. Dort kann man seine Erfahrungen teilen und muss nicht besorgt sein, dass das Gegenüber das nicht aushält. Es ist ein Platz für die Trauer, aber auch ein Platz, an dem andere Gedanken Raum haben dürfen. Zum Beispiel, dass man sich vielleicht auch einmal nicht so mitfreuen kann, wenn alle anderen rundherum schwanger werden. Das kann man dann erzählen, ohne dass man dafür verurteilt wird.

Wenn man euch zuhört, gewinnt man den Eindruck, Sternenkinder sind immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?

Laura: Ja, der Tod eines Kindes ist immer noch ein großes Tabuthema. Es ist mit viel Scham behaftet und Schuldgefühlen und Hilflosigkeit. Und oft hört man als Betroffene dann Aussagen, die aus dieser Hilflosigkeit entstehen. Zum Beispiel, dass man einfach schnell wieder versuchen solle, ein Kind zu bekommen.

Ruth: Menschen sagen manchmal ohne böse Absicht sehr blöde Sachen, obwohl sie eigentlich trösten wollen. Und ganz viele sagen einfach gar nichts, so als wäre „nichts“ gewesen – was von außen vielleicht so wirkt, weil die verstorbenen Babys bisher ja „nur“ im Leben ihrer Eltern und nahen Angehörigen eine Rolle gespielt haben. Zugleich muss man festhalten, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat. Früher hat man zum Beispiel geglaubt, dass es gut ist, wenn die Mütter ihre Kinder nach der Geburt nicht sehen. Heute ist das Gott sei Dank nicht mehr so und die Eltern haben die Möglichkeit, sich zu verabschieden, wenn sie das möchten. Zum Beispiel, indem sie Fotos ihres Kindes machen. Es gibt professionelle Sternenkind-Fotograf*innen, die betroffene Familien unterstützen. Mir ist bewusst, dass Menschen, die nicht betroffen sind, das vielleicht schwer nachvollziehen können. Ich selbst konnte das früher auch nicht. Heute sind die Fotos von meinem Kind das Wertvollste, was ich habe.

Wie geht das Gesundheitssystem mit Sternenkindern und ihren Eltern um?

Ruth: Das variiert sehr stark von Institution zu  Institution. Die SALK geben zum Beispiel eine Broschüre heraus und Betroffene erhalten psychologische Unterstützung. In meinem speziellen Fall war die Phase vor der Geburt sehr schwierig, weil ich das Gefühl hatte, die sind genauso hilflos wie wir. Aber ab der Geburt kann ich sagen, dass ich bestmöglich betreut war, was den Prozess des Abschiednehmens von meinem Kind betrifft.

Laura: Leider gibt es auch andere Fälle. Gerade bei Fehlgeburten, die früh in der Schwangerschaft passieren, hört man oft von fehlenden Angeboten und mangelnder Empathie. Da gibt es sicher Verbesserungsbedarf.

Für die Eltern geht es natürlich auch um rechtliche Rahmenbedingungen. Wie ist die Situation in Österreich?

Ruth: In Deutschland gibt es seit Kurzem einen gestaffelten Mutterschutz für Eltern von Sternenkindern, auch bei so genannten „kleinen“ Geburten (das ist ein Ausdruck, den ich lieber verwende als „Fehlgeburt“). In Österreich dagegen gilt eine Grenze von 500 Gramm oder 23 Schwangerschaftswochen. Wenn diese Grenzen nicht erreicht sind, hat man keinerlei Anspruch auf Mutterschutz und man müsste theoretisch sofort wieder arbeiten gehen, was vielfach einfach nicht realistisch ist. Ein paar Gramm mehr oder weniger ändern doch am Schmerz nichts. Ganz abgesehen davon hinterlässt eine Schwangerschaft körperliche Folgen. Ich hoffe also, dass sich da auch in Österreich bald etwas bewegt – es gibt einige sehr engagierte Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, die sich dafür einsetzen und die man mit Unterschriften und/oder Spenden unterstützen kann. Auf unserer Website findet man entsprechende Links.

Ist eure  Gruppe offen für Väter?

Laura: Prinzipiell ja, denn unsre Gruppe heißt Selbsthilfegruppe für Sternenkind-Eltern. Wir haben auch ein Treffen, da sich explizit an Paare richtet, die dabei von einer Psychotherapeutin begleitet werden.

Ruth: Es war für uns immer klar, dass wir einen Raum schaffen wollen, in dem sich Paare oder auch Väter untereinander austauschen können. Gerade die Trauer von Männern wird noch einmal ganz anders tabuisiert. Die haben aber genauso ein Kind verloren und sind oft genauso wenig in der Lage, gleich wieder zu „funktionieren“.

Wie kann man mit euch in Kontakt treten?

Laura: Wir haben eine Webseite, auf der alle Termine und Kontaktmöglichkeiten stehen. Man kann uns aber gerne auch konkrete Fragen stellen und muss damit nicht bis zum nächsten Treffen warten, sondern kann einfach jederzeit Kontakt aufnehmen. Wir unterstützen gerne so gut wir können: von Büchertipps bis zu Kontakten zu Therapeut*innen.

Alle, die sich angesprochen fühlen, sind herzlich eingeladen, mit uns Kontakt aufzunehmen und zu einem unserer nächsten Treffen zu kommen.

Titelfoto: Lena Tolmacheva, Unsplash

 

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