Schiaches Salzburg: Memento mori in der Mehrzweckhalle

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Schiaches Salzburg hat wieder einen schiachschönen Ort besucht

Schon ein bisschen komisch, der Titel der Schau. Immerhin sollte sie ursprünglich im Jahr 2020, also dem pulslosesten Jahr seit langem, stattfinden. Und überhaupt:
 Ist es zynisch, einer Anatomieaustellung mit echten Toten dieses Thema überzustülpen?
 Ist es in einer Pandemie zynisch, einer Anamotieausstellung dieses Thema überzustülpen? 
Hat das Jahr 2021 überhaupt einen Puls? Schau ma moi.

Titelbild: Schiaches Salzburg

Der gesunde Ruhepuls für einen erwachsenen Menschen mit normaler Konstitution liegt im Durchschnitt bei etwa 60 Schlägen pro Minute. Da ich grundsätzlich schnell mal auf 180 bin, erwarte ich mir von der Ausstellung nicht allzu viel und betrete mit 19€ weniger auf dem Konto erschreckend früh am morgen pünktlich zum vorgebuchten Time-Slot die glamourisierte Mehrzweckhalle (viel Glas, viel Beton, eigene Buskehre).

In der stilvoll abgedunkelten Halle wird man bei indirektem Licht von einer kurzen Intro-Videoinstallation mit ordentlicher Tonanlage begrüßt. Dabei fällt mir auf, wie lange ich eigentlich nicht mehr draußen, also außer „Zum Einkaufen, Pakete von der Packstation holen und Bier trinken im Park“-Draußen, war. In einem anderen Teil der Halle wummert angenehm ein Bass in Herzfrequenz. Okay, könnte vielleicht ganz gesund sein, mal wieder in einer dunklen Umgebung mit ein paar fremden Leuten im selben Raum zu sein. Erinnerungen an die letzte Party, den letzten Film im Kino und das letzte Konzert kommen hoch.

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Über die Künstlerinnen

Wir haben uns entschieden, um nicht so viel vorweg zu nehmen, die Bilder, die Schiaches Salzburg gesehen hat, zu malen. Die Kunstwerke sind von uns und um viele Fragen gleich zu beantworten: Ja, man kann sie kaufen. Weil, ja, sie werden mal viel wert sein.

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Leben und Tod – nix für Weicheier.

Verlässt man den Raum mit der Videoinstallation, geht es direkt ans Eingemachte. Buchstäblich, denn neben einem eingelegten Embryo liegt ein Neugeborenen-Schädelskelett mit offenen Fontanellen, bei dessen Größe ich erst mal „Aua“, denke und überlege, wann eigentlich Muttertag ist. Überhaupt: Es sind relativ viele Kinder und Mütter unterwegs. (Das werde ich später noch genauer bemerken.)

Bisher wirken die gezeigten Plastinate relativ abstrakt. Es ist nicht so ganz fassbar, dass das echte Leute sind. Oder waren. Sogar beim vollständigen Skelett denke ich zuerst an den altehrwürdigen Plastikknochenmann aus dem Lehrmittelkammerl (er hieß Kasimir), der mir in der Hauptschule gelehrt hat, wo mein Jochbein ist. Allerdings: Shit gets real beim ersten Körper, bei dem die Augen noch vorhanden sind. Beim Aufbau der Ausstellung hat sich jemand was gedacht, denn die Augen des Plastinats sind auf Augenhöhe des Körperwelten-Besuchers. Die echten Augen von einem echten Toten schauen einen an. Auch das Bauchhirn hat jetzt verstanden, worum es hier eigentlich geht.

Apropos Denken: Im nächsten Raum befindet sich ein Gehirn mit vollständigem Nervensystem. Die Kommandozentrale von dir, mir, jedem. Alles, worauf es ankommt, alles worauf es nicht ankommt. Jeder Mathefünfer, jedes erste und letzte Date, jedes angehauene Schienbein, jeder Ohrwurm, jedes Anfreunden, jedes Verstandenwerden, jedes Sale-Schnäppchen mit Gratisversand, jede Spinnenangst, jedes Zittern am Monatsende. Und die Wurzel allen Übels, zumindest wenn man an einem Ungleichgewicht der Hirnchemie leidet.

Auch der Direktvergleich zwischen einem gesunden Gehirn und einem mit Alzheimer geht tief ins Mark. Das süße Stopmotion-Begleitvideo, in dem ein Papiermantschgerl seinen mentalen Verfall veranschaulicht, macht es nicht besser. Was bleibt von einem übrig, wenn der in weiße und graue Masse eingekapselte Geist verfällt und man keine Kontrolle mehr über die Realität hat? (Daheim werde ich noch googlen, wie weit die Alzheimerforschung inzwischen ist… aber das ist eine andere Geschichte.) Passend zum leichten Anflug von Existenzkrise lauert ums Eck einer, von dem ich es hier nicht erwartet hätte.

„Vom Standpunkt der Jugend aus gesehen, ist das Leben eine unendlich lange Zukunft; vom Standpunkt des Alters aus eine sehr kurze Vergangenheit. Man muss alt geworden sein, also lange gelebt haben, um zu erkennen, wie kurz das Leben ist“, wird der gute alte Schopenhauer auf einem drögen Roll-up zitiert. Memento mori, gründlich und pragmatisch ausformuliert.

Völlig unerwartet, verschwindet dann mein leichter Kloß im Hals. Ein schätzomativ Vierjähriger (er heißt Raphael) ist mit seiner Mama da. „MAAAAMAA!!! BUSEN!!!“, freut er sich beim Anblick eines offensichtlich weiblichen Plastinats. Ich muss kurz lachen und frage mich dann, ob das hier drinnen überhaupt okay ist. Paradox und irgendwie schön. 

Nach weiteren 2 Stunden im Ausstellungsdunkel bin ich am Ende.

Also… am Ausgang. Als Goodie zum Abschied gibt es hier nämlich noch eine Installation. Auf einer etwa 5m langen Wand sollten Besucher den Satz „Bevor ich sterbe, möchte ich…“ vervollständigen. Neben den Klassikern wie Haus, Familie und Reisen, stehen da auch Sachen wie „Timothée Chalamet treffen“, „in ein Bierzelt gehen“, „10000 Follower auf TikTok“ und „Krautstrudl (sic) essen“. Priorities. Da ist er also, der Puls der Zeit.

Zurück zu den Eingangsfragen: Ist es zynisch, einer Anatomieaustellung mit echten Toten dieses Thema überzustülpen? Nein, es ist wertvoll. Ist es in einer Pandemie zynisch, einer Anamotieausstellung dieses Thema überzustülpen? 
Nein, es ist nötig.

Keine Ahnung, ob die Pandemie einen netter gemacht hat, oder ob es nur an der allgemeinen, schon über ein Jahr andauernden Reizdeprivation liegt, aber ich gehe definitiv als anderer Mensch hier wieder raus. Es klingt wirklich cheesy, aber wenn sogar einer alten Zynikerin hier das Herz ein bissl weich wird, ist diese Ausgabe von „Körperwelten“ vielleicht etwas, das nach Möglichkeit jeder gesehen haben sollte. Eine Woche ist dafür noch Zeit.

(PS: Für alle, die sich jetzt fragen, wo denn der Abschnitt über die Raucherlunge ist: die gibt es auch. Die Ausstellung beinhält natürlich noch viel mehr, als die hier genannten Exponate.)

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Die Ausstellung Körperwelten anschauen

Die Ausstellung „Körperwelten“ in der Messe Salzburg gibt’s nicht mehr lange, nur mehr bis 25. April. An alle, die gerade nicht in Quarantäne sind und Bock auf das echte Leben haben: Schaut’s hin. Unserem Schiachen Salzburg hat’s scheinbar getaugt.

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“Schiaches Salzburg” ist unser Außenposten fürs Unangenehme und bringt laufend neue Krach- und Sachgeschichten aus SBG.

Gefunden haben wir diesen Account auf Instagram, wo er als @schiaches.salzburg die halbschattigen Seiten der Stadt herzeigt. Was es dort gibt? Found objects, Kurioses aus dem öffentlichen Raum und andere schiache Sachen aus der schönsten Stadt Österreichs. Immer mit im Gepäck? Gesunder Grant, absurder Humor und Sinn für Unsinn.

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