Salzburgs letzte Nahversorger

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Sie versorgen ganze Stadtteile mit Artikeln des täglichen Bedarfs, sind soziale Treffpunkte und Anlaufstelle für individuelle Kundenwünsche. Trotzdem verschwinden sie nach und nach von der Stadtkarte: die Salzburger Nahversorger. Wir waren auf Stippvisite und haben mit zwei Greißlern über ihren Alltag als Nahversorger in Salzburg gesprochen.

Als wir den kleinen Nahversorger-Laden in der Rudolf-Biebel-Straße betreten, schlichtet Marcel fein säuberlich Obst und Gemüse in die Holzkörbe, während uns sein Partner Franco empfängt. „Marcel macht alles im Geschäft, ich bin in der Küche“, erklärt er die Aufgabenverteilung in ihrem Geschäft, dem „Franco“. Seit acht Jahren sind die beiden Männer tägliche Anlaufstelle für viele Lehener*innen. Vom Apfelmus bis zur Zahnbürste bekommt man hier auf 40 Quadratmetern alles, was man für den Alltag benötigt.

Illustrationen: Julia Aichinger

„Die Idee zum Nahversorgergeschäft war eher ein Zufall“, erzählt Rudolf Franco. „Marcel hatte einen Trödelladen, ich war LKW-Fahrer. Eines Tages wollte ich mir hier in der Gegend eine Jause kaufen, aber der Interspar war gerade im Umbau und es gab nirgends was Gscheites.“ Aus dem halb ernst gemeinten Spruch „Dann mach ma uns halt selbst so einen Laden auf“ wurde schnell Realität. Als die Vitrinen bestellt und Böden, Regale und Strom installiert waren, stand dem Traum vom Nahversorger nichts mehr im Weg. Vier Wochen später öffnete „Franco“ seine Pforten.

„Vom Konsul bis zum Bettler kommt alles rein und unterhält sich miteinander.“

Marcel und Franco sind einer von 245 Lebensmittelvollversorgern im Bundesland Salzburg. Kleinflächiges und unabhängiges Handelsunternehmen sagt man ganz förmlich dazu. Sie unterliegen keiner großen Handelskette und sind quasi ihr eigener Chef. Die Lebensmittel lassen sich Marcel und Franco von ADEG liefern, das ist aber auch das einzige, was sie mit einer großen Handelskette verbindet. Dass ihre Existenz als Nahversorger bedroht sei, davon wollen die beiden Salzburger nichts wissen. Eine Konkurrenz durch große Lebensmittelunternehmen fürchten sie ebenfalls nicht – nur die Tankstellen sind ihnen ein Dorn im Auge: „Uns wird es verboten, an Sonn- und Feiertagen aufzusperren und die Tankstellen verkaufen Tag und Nacht. Wir als Lebensmittel-Einzelhändler dürfen das nicht. Wir müssen in der Stadt ab Samstagnachmittag zusperren.“

Marcel vom „Franco“ in Lehen

Der nächste Kunde betritt das Lokal: „Servus, zwei Packerl Marlboro, bitte.“ Der Franco ist in Lehen inzwischen zu einem sozialen Treffpunkt geworden. „Vom Konsul bis zum Bettler kommt alles rein und unterhält sich miteinander“, erzählt Franco. „Wir haben auch einen Mittagstisch, da koche ich jeden Tag.“ Neben Leberknödel, Kaspressknödel und Fleischlaiberl gibt es von Montag bis Freitag ein wechselndes Mittagsgericht, täglich hausgemachte Pizzen und donnerstags frische Mehlspeisen „von der Frau Süß“, der Konditorin der Bäckerei Brandner.

Aber das war nicht immer so. Marcel und Franco zeigen auf die Regale und den Thekenbereich am anderen Ende des Raumes. Am Anfang habe das alles noch ganz anders ausgesehen. „Wir  hatten früher Feinkost, offene Essige und Öle. Dann haben sie die neue Siedlung dort drüben gebaut, die alte Kundschaft ist weggezogen und plötzlich hatten wir jede Menge neue Leute, die zu uns gekommen sind.“ Mit den neuen Kunden kamen auch neue Bedürfnisse. Als die Trafik nebenbei geschlossen hat, haben Marcel und Franco Tabak in ihr Sortiment aufgenommen, als der Bäcker zugesperrt hat, haben sie mehr Gebäck dazugetan. „Man darf keinen Stillstand akzeptieren. Die größte Gefahr für einen kleinen Nahversorger ist, dass man alles so lässt wie es ist und immer sagt, man kann nichts machen.“

„Die größte Gefahr für einen kleinen Nahversorger wie uns ist, dass man alles so lässt wie es ist und immer sagt, man kann nichts machen.“

Stillstand ist auch für Herbert Wagner ein Fremdwort. Seit 40 Jahren arbeitet er durchgehend im „Frische-Eck“ in der Lasserstraße. Nachdem er seine Lehre dort absolviert hatte, kaufte er das Geschäft gemeinsam mit seiner Mutter und übernahm mit 21 Jahren die Geschäftsführung des Nahversorger-Ladens im Andräviertel. Als wir uns im Geschäft umschauen, erkennen wir, was das Sortiment angeht, fast keinen Unterschied zu einer herkömmlichen Supermarktkette. Im Frische-Eck bekommt man frisches Obst und Gemüse, Haushaltsprodukte, wie Waschmittel und Hygieneartikel, Süßigkeiten, Tabakwaren und fertig verpackte Feinkost. „In meinen 90 Quadratmetern habe ich 5.000 Artikel. Das ist nicht wenig. Das Sortiment ändert sich natürlich nach den Gegebenheiten, was gerade ‚in‘ ist oder was die Kunden wollen“, erklärt Herbert Wagner.

Konkurrenz durch die großen Supermärkte fürchtet auch er nicht. Für einen Großeinkauf kämen die Kund*innen ohnehin nicht in sein Geschäft. „Wichtig ist, dass das Gesamtpaket passt. Und das passt zum Glück noch.“ Die vielen Stammkund*innen schätzen vor allem die persönliche Betreuung und kommen meist genau deswegen ins Frische-Eck. Da wird Schmäh geführt und über aktuelle Geschehnisse diskutiert. Die Kund*innen werden nicht durch lange Gänge gejagt, wo sie nach dem gewünschten Artikel suchen müssen. Es ist alles da, auf einen Blick. Ins Frische-Eck kommen neben den Stammgästen viele Tourist*innen aus dem Hostel nebenan und Mitarbeiter*innen aus den angrenzenden Bürogebäuden.

Nahversorger-Wagner
Herbert Wagner im seinem Frische-Eck

Herbert Wagner nimmt auf dem Stuhl an seiner Kassa Platz: „Trotzdem ist es ein irrsinniger Aufwand, den Laden zu managen. Zum Glück habe ich eine Frau und eine Familie, die mich nicht anders kennen und hinter mir stehen. Bei uns gibt es keinen Urlaub, ich bin quasi 365 Tage durchgehend in der Arbeit.“ Personal hat er aktuell keines. Das wäre ein zu hoher Kostenfaktor. Die guten Verkäufer wollen ohnehin nur in die großen Geschäfte. Generell würde es heute fast niemand mehr schaffen, von Null weg einen selbstständigen Lebensmittelhandel zu gründen. Zu hoch wären die Aufwendungen. Für die Einrichtung. Für das Lager. Ein Geschäftslokal in einer guten Lage. Das schafft niemand mehr. „Höchstens als Sub-Unternehmer bei einem Konzern. Aber da wird dir alles vorgeschrieben, sogar die eigene Kassa.“ Herbert Wagner ist trotzdem zufrieden. Seinen Beruf, den wird er mit Sicherheit bis zur Pension ausüben.

„Die Kinder spielen am Spielplatz nebenan ‚Franco’. Das hat mich gerührt, darauf war ich sehr stolz.“

Wir sind wieder in Lehen, wo Franco und Marcel von ihren jüngsten Stammkunden erzählen. „Die ersten in der Früh sind oft die Volksschüler. Sie holen sich bei uns ein Extrawurstsemmerl um 1 Euro. Oder sie spielen beim Spielplatz nebenan ‚Franco’. Da ist einer der Franco, der immer den Marcel schimpft, dass er schneller machen soll. Und da wird verkaufen gespielt. Das hat mich gerührt, darauf war ich sehr stolz.“ Egal, ob ein Frische-Eck im Andräviertel oder ein Franco in Lehen. Eines haben die Kaufleute offenbar gemeinsam: Für sie gibt es nichts schöneres, als ihr Geschäft in der Früh aufzusperren. Franco formuliert es treffend: „Es ist mein Leben.“


Dieser Text ist zuerst im QWANT. Magazin (Ausgabe 2/2018) erschienen. Das QWANT. könnt ihr kostenlos abonnieren.

Titelbild: Photo by Rahul Jain on Unsplash

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