[KOMMENTAR] Juhu, wir empören uns!

ACHTUNG, DIESER BEITRAG IST VERALTET! BITTE ÜBERPRÜFE, OB DIE DARIN ENTHALTENEN INFOS NOCH AKTUELL SIND. WIR KÜMMERN UNS SOBALD WIE MÖGLICH UM EINE AKTUALISIERUNG!

Wieder einmal musste ein Mensch wegen seiner Hautfarbe sterben. Unser Autor findet: Sparen wir uns unsere scheinheiligen Solidaritätsbekundungen auf Facebook und Instagram. Es gäbe Dringenderes zu tun.

Juhu, sie läuft wieder, die Empörungsmaschine. Mit jedem Facebook Freund, der in diesen Tagen sein Corona-Hair-Selfie gegen eine schwarze Wand austauscht, kurbelt sie schneller, heftiger. Ihr Treibstoff: unsere pathetisch zum Markt getragene Betroffenheit.

Das hatten wir doch alles schon, oder? Die Bestürzung, die Empörung. Die Profilbilder. 2015 zum Beispiel, als in Charleston ein rassistisch motivierter Attentäter neun Gläubige in einer Kirche ermordete. Oder 2018, als in Chemnitz der rechte Mob Jagd auf Migrant*innen machte. Und auf alle, die so aussahen. Und #jesuischarlie war auch mal. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Aber Moment mal: Chemnitz? Ach ja genau … das hatte ich ja fast verg …

Eben, und genau da liegt das Problem mit unseren Betroffenheits-Selfies.

Vor wenigen Tagen wurde in Minnesota ein Mensch von einem Polizisten am Boden fixiert und erstickt. Wer darüber nicht empört ist, der hat seine Menschlichkeit verloren. Das steht fest, daran gibt es keinen Zweifel. Was nicht ganz so einfach ist, das ist die Frage nach einer angemessenen Reaktion darauf. Für viele Menschen besteht sie darin, vorübergehend ihre Facebook-Profilfotos zu ändern. Aber bewirkt das wirklich etwas? Vielleicht sollten wir uns, anstatt gleich wieder publikumswirksam mitzuleiden, einfach mal die Frage stellen: Wem nützt unser Betroffenheits-Geposte eigentlich wirklich? Und gäbe es auch eine andere Reaktion auf unsere Bestürzung? Vielleicht eine, die wirklich einen Unterschied macht?

Es ist nämlich so: Ein schwarzes Foto auf Facebook oder Instagram ist für sich genommen noch keine Handlung. Es ist nicht einmal ein Protest.

Im besten Fall zeugt es einen Moment lang von Betroffenheit, im schlechtesten Fall ist es kollekive Effektheischerei in der Komfortzone auf Kosten eines Ermordeten. Man könnte sogar eine Faustregel formulieren: Fühlt es sich so an, als hätten wir mit unserer Social Media-Geste gerade rein gar keine Anstrengung unternehmen müssen, um unserer Betroffenheit Ausdruck zu verleihen? Dann haben wir wahrscheinlich gerade genau das getan: gar nichts.

Manch einer wird an dieser Stelle nun einwenden: Aber was soll man denn im kleinen Salzburg schon tun, gegen Polizeigewalt in den USA? Und überhaupt: Welches Recht habe ich, als privilegierter, weißer Globalisierungsgewinner, im Namen einer systematisch ausgegrenzten Bevölkerungsgruppe eines Landes zu sprechen, dessen Bürger ich nicht einmal bin?

Es stimmt schon: Gegen rassistische Polizeigewalt in den USA können wir hier in Salzburg nicht viel unternehmen. Was aber auch stimmt: Die systematische Ausgrenzung von Menschen beginnt nicht bei Polizeigewalt. Und sie ist nichts, worauf die USA ein Patent angemeldet hätten. Im Gegenteil, dieses Handwerk beherrschen wir auch hierzulande sehr gut.

Am Samstag, den 6. Juni findet auch in Salzburg eine Demo gegen Rassismus statt. Start ist um 17 Uhr beim Mirabellplatz. Hingehen & NMS nicht vergessen!

Wo genau diese systematische Ausgrenzung beginnt, kann dieser Kommentar nicht beantworten. Zu vielschichtig sind ihre Mechanismen. Vielleicht beginnt sie aber schlicht und einfach bei der Tatsache, dass ein Mensch geboren wird und die Farbe seiner Haut, sein Name, das Stadtviertel, in dem er lebt, die Schule, die er besucht, darüber entscheiden, welche Chancen er im Leben haben wird und welches Unrecht ihm geschehen wird.

Vielleicht beginnt es aber auch dort, wo Menschen keinen Platz in einer Studi-WG bekommen, weil sie Mohamed heißen. Oder da, wo wir zwar gerne im Vorstadtviertel billig wohnen, aber unsere Kinder doch lieber auf eine private Volksschule schicken. Oder es beginnt dann, wenn wir in Mitten einer globalen Pandemie Menschen auf griechischen Inseln in Lager sperren, bis deren Kinder an Dreck und Depression zugrunde gehen.

Der zweite bequeme Irrglaube ist, dass wir nichts tun können und deshalb keine andere Wahl haben, als ein neues Profilbild zu posten. Im Gegenteil. Wir könnten so viel mehr tun, als wir gerne zugeben möchten. Nicht in den USA, das stimmt. Aber hier. Wir können einem Kind, dessen Eltern sich keine Nachhilfestunden leisten können im Lerncafé der Caritas Nachhilfe geben. Wir können einmal im Monat für die Notschlafstelle kochen. Wir könnten Omis leerstehende Wohnung an eine Flüchtlingsfamilie vermieten, könnten beim nächsten Stadtteilfest mithelfen. Wir könnten unser Kind dort in die Volksschule schicken, wo wir wohnen und bei dem Wort NMS nicht die Nase rümpfen. Wir können einer politischen Partei beitreten oder für den Gemeinderat kandidieren. All diese Dinge machen einen echten Unterschied. Hier, heute. Nicht für Minderheiten in den USA, aber für Menschen, die genau das auch hier erfahren.

Egal was wir tun, nichts davon macht einen Unterschied für George Floyd. Der Mensch George Floyd wurde vor wenigen Tagen auf offener Straße wehrlos ermordet. Aber es macht einen Unterschied, wenn es darum geht, gegen ein Unrecht anzugehen, das es nicht nur in den bösen, bösen USA gibt. Sondern im Herzen Europas, in dem neben der lebenswerten Stadt Wien das für viele nicht besonders lebenswerte Dorf Traiskirchen liegt.

Damit wir uns richtig verstehen: Dies ist keine Kritik an politischem und sozialem Engagement, sondern ein Aufruf dazu. Wenn das Posten eines scharzen Quadrats der erste Schritt in diese Richtung ist, dann spricht sicher nichts dagegen. Doch mit dem Posten des Bildes sollte für jeden einzelnen von uns auch eine Verpflichtung einhergehen. Eine Verpflichtung, mehr zu tun. Denn im Zweifelsfall macht jede dieser Taten viel mehr Unterschied, als unser Profilfoto.

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