Jessy Jay: Die Wrestlerin

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Wenn Jessica Ofner aka Jessy Jay in den Ring steigt, trägt sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck Fans”. Seit etwa sechs Jahren ist die Salzburgerin mit dabei in Europas Wrestling-Szene. Wrestling ist zwar nach wie vor eine Männerdomäne, dennoch gibt es weiblichen Aufwind.

Im echten Leben ist Jessica Ofner im Online-Marketing tätig, selbstbewusst, trinkt Soda ohne Zitrone. Ihren Antworten, um die sie niemals verlegen ist, schwingt immer eine leichte, humorvolle Note mit. Im Wrestling-Ring wird aus ihr Jessy Jay. Sie lehnt überheblich in der Ringecke und schaut gelangweilt ins Publikum. Denn sie hasst ihre Fans leidenschaftlich gerne und gibt ihnen ihre Abneigung mit Beschimpfungen und ihrem Fuck-Fans-Shirt zu verstehen. Wenn ihre Fans zurückschimpfen, ist sie zufrieden. Dann weiß Jessica aka Jessy Jay, dass sie ihre Rolle, Gimmick genannt, überzeugend spielt.

Dass Jessy ein Heel ist, der böse Antagonist zur positiven Figur des Face, das war nicht immer so. Als die heute 24-jährige Salzburgerin 2013 das erste Mal in den Ring stieg, spielte sie das liebe Mädchen von nebenan, wie sie sagt, ein Face durch und durch. Letztes Jahr trat sie dann zur dunklen Seite über. Eine Metamorphose, die sich mitten in einem Match vollzog. Alles geplant, alles ein großes Spektakel, wie es sich im Wrestling gehört. Überraschend verbündete sie sich in einem Kampf mit einem gegnerischen Heel und fiel ihrem damaligen Face-Partner in den Rücken. In der finalen siegreichen Umarmung mit dem Heel lag die Judasgeste: Jessy war ab diesem Zeitpunkt eine von den Schurken.

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Das Schauspiel zwischen Gut und Böse liebt das Publikum. Zu einem Face, sagt Jessy, schauen die Fans auf, mit ihm fiebern sie mit. Für Kinder und Jugendliche fungieren Faces als Vorbild, motivieren und machen Mut. Besonders Kinder schauen nicht hinter die Fassade, blenden das Schauspiel hinter dem Kampf aus und können sich in die schwarz-weiße Märchenwelt des Wrestlings hineinträumen. Bei einem Heel sei das was anderes. „Ein Heel erfüllt mehr als ein Face. Man kann angestaute Wut abbauen und einfach in einem sicheren Rahmen schimpfen“, sagt Jessy. Die Schurken, im Film wie im Wrestling, seien ohnehin komplexere und deshalb interessantere Charaktere. So gehe es aber auch dem Publikum, ist sie überzeugt. Denn auch die Zuschauer spielen mit ihrer Parteilichkeit ihre eigenen Rollen, buhen Bösewichte aus und stellen sich auf die Seite der Guten, im Wissen, dass alles Schauspiel ist. Von vielen Fans hat Jessy Nachrichten und Fanpost erhalten. Viele mit den Botschaften, während eines Matches jemand anderes zu sein, aus alltäglichen Rollen kurzweilig austreten zu können: „Eltern haben mir erzählt, dass sie im Publikum keine Eltern sein müssen, sondern den Heel ohne Reue beschimpfen können.“ Wrestling, fasst sie zusammen, ist eine große Show. Und ohne Zuschauerrollen gäbe es Wrestling nicht.

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Weil Wrestling eine große Show ist, sind auch die Abläufe mehr oder weniger akkurat geregelt. Die Organisator*innen der Ligen schreiben die Storylines, auch die Ausgänge und Siege sind geplant. „Was genau wir im Ring machen, sprechen wir kurz vor Beginn mit unseren Gegnern ab“, erklärt Jessy. Dann werden Moves ausprobiert und die Bewegungen des Gegenübers studiert. Ziel ist es, dass während eines Kampfes so authentisch wie möglich gespielt wird, damit das Publikum nichts merkt. Deshalb gibt es im Wrestling auch eine eigene Sprache, kurze Wörter, die sich die Kontrahenten im Ring leise zurufen, bestimmte Moves vorzubereiten. Der Rest geschieht über Körpersprache. Ein*e Wrestler*in müsse genau auf das Gegenüber achten. Gibt es einen unfairen Sieg, ist auch dieser abgesprochen, sogar der Ref ist mittendrin. Unfaire Siege gibt es zur Genüge: Tritte in den Schritt der Männer, Augenkratzen und Ablenken des Refs etwa.

Noch vor zehn Jahren seien Wrestler*innen zumindest in Europa großen Vorurteilen ausgesetzt gewesen. Da waren Frauen nur Arsch und Titten im Ring.

Dass im Ring auch Frauen gegen Männer antreten, grenzt Wrestling endgültig von einer klassischen Sportart ab. Jessy Jay hat zwar zu Beginn ihrer Karriere nur gegen Frauen gekämpft, mittlerweile steht sie aber zusammen mit ihrem Heel-Partner BAM im Ring. Als sogenanntes Tagteam führen die beiden die Liga des Athletik Club Wrestling Weinheim, Jessys Trainingsverein, an. Obwohl Wrestling noch größtenteils in Männerhand ist, machen die mittlerweile etwa 25 Frauen im deutschsprachigen Raum den männlichen Wrestlern durchaus Konkurrenz. Auch das Verhältnis zwischen den Frauen, sagt Jessy, sei in den letzten Jahren besser geworden. „Viele Frauen schlagen sich gegenseitig für Matches vor und sind solidarisch“, sagt sie. Auch die Männer hätten ihr Misstrauen mittlerweile niedergelegt: „Am Anfang hieß es noch, ich kann keine Frau schlagen und wohin überhaupt, da sind doch Brüste im Weg. Und von Fans hat man oft zu hören bekommen, dass das kein Frauensport ist und ich soll lieber zum Tennis gehen“, erzählt sie. Noch vor zehn Jahren seien Wrestlerinnen zumindest in Europa großen Vorurteilen ausgesetzt gewesen. „Da waren Frauen nur Arsch und Titten im Ring“, sagt sie.

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Schon als junges Mädchen war Jessica Ofner trotzdem dem Wrestling zugeneigt – so früh schon, dass die Mutter sich Sorgen machte. Deshalb schaute sie mit ihrem Bruder und dem Vater in frühen Kindheitstagen heimlich Wrestling, bis die Mutter dahinterkam. „Sie hat das anfangs kritisiert, aber irgendwann hat sie es selbst angeschaut und dann wurde Wrestling zu einem Familienevent“, erinnert sich Jessy. Irgendwann lief ein Match mit Jeff Hardy, World Wrestling Entertainment Champion (WWE) und Profi-Wrestler aus den USA. Jessy hatte ihr Vorbild gefunden, sie wollte so werden wie er. An Weihnachten bekam sie von der Mutter einen Gutschein für ein Dreitagesseminar bei Alex Wright in Nürnberg geschenkt, auch er einer der ganz Großen auf europäischer Ebene. „Der erste Tag war richtig hart. Ich hatte blaue Flecken von den schaumstoffgepolsterten Stahlseilen und Muskelkater.“ Die Mutter rät, den Traum wieder aufzugeben, aber Jessy bleibt. Der Rest entwickelt sich wie im Film: Alex Wright erkennt ihr Potenzial und überzeugt auch die Mutter. Sie sieht das Strahlen in den Augen ihrer Tochter. Ab diesem Zeitpunkt fährt der Vater Jessy monatlich ins Wrestling Training nach Nürnberg.

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Jetzt ist Jessy beim ACW Weinheim angekommen. In ihrem Team hat sie Freunde gefunden, sie selbst nennt es eine zweite Familie. Einmal im Monat fährt Jessy nach Weinheim, um im Ring zu trainieren, ihr Training in Salzburg passiert im Fitnesscenter. Wie viele Wrestler*innen träumt sie davon, einmal in die USA auszuwandern, wo die Menschen vom Wrestling leben können. „Das Ziel habe ich schon, aber es ist eher unrealistisch. Bis dahin bleibt Wrestling eine Leidenschaft“, sagt sie. Am liebsten wäre es ihr natürlich, hierzubleiben und Wrestling als Beruf ausüben zu können.

Die Leute gehen zum Wrestling, um sich unterhalten zu lassen, und in eine andere Welt einzutauchen.

Aber Wrestling als Profession, davon ist Europa noch weit entfernt. Obwohl die Zuschauerzahlen sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt haben, hat Österreich an seine Hochphase in den Achtzigerjahren nicht mehr anschließen können. Viele Leute in Europa, sagt sie, sähen im Wrestling nur ein „Fake“: „Dann frage ich sie, ob sie das bei Filmen auch denken.“ Wrestler*innen sind für Jessy Schauspieler*innen mit athletischen Fähigkeiten. „Du musst wissen, wie du springst, wie du fällst, das ist alles hartes Training.“ Matchaufbau und Safety lernen Wrestler in einer etwa zweijährigen Ausbildungszeit, damit Kämpfe zwar authentisch aussehen, dabei aber niemand wirklich verletzt wird. Natürlich sei der Plot im Wrestling Fake, gibt sie zu, aber Wrestling sei schlicht und einfach Unterhaltung. „Die Leute gehen zum Wrestling, um sich unterhalten zu lassen, und in eine andere Welt einzutauchen“. Und diese Welt besteht auch außerhalb des Ringes, nämlich dann, wenn Jessy Fanpost bekommt. Dann wird Jessica zu Jessy Jay, arrogant und überheblich. Ihre Fans lieben das.


Dieser Artikel ist zuerst im QWANT.Magazin 10/2019 erschienen. Hol dir jetzt dein Gratis-Abo!


Alle Fotos: Jessy Jay

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