Ich, der notorische Lügner

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Ich habe ein Problem: Ich lüge. Ziemlich häufig. Ohne es groß zu bemerken. Und meistens ohne schlechtes Gewissen.

Keine Sorge: Ich operiere nicht ohne Medizinstudium an offenen Herzen. Ich lenke keine Flugzeuge ohne Berechtigung und veröffentliche keine abgeschriebenen wissenschaftlichen Arbeiten. Was das betrifft, bin ich grundehrlich. Die meisten Menschen würden meine Lügen eher als kleine Flunkereien im Alltag bezeichnen. Was mich irritiert, ist eher die Häufigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der ich die Wahrheit zurechtbiege.

„Diese kleinen, spontanen Lügen habe ich mir so sehr antrainiert, dass sie mittlerweile wie selbstverständlich aus mir heraussprudeln.“

Wenn meine Mutter abends anruft, habe ich nicht ab und behaupte später, den Anruf versäumt zu haben. Wenn ein Kunde fragt, ob ich Lust auf einen Auftrag habe, sage ich „gerne“, obwohl ich „wenn’s sein muss“ denke. Und wenn meine Frau fragt, wie mein Tag mit dem Kind war, behaupte ich, wir hatten eine gute Zeit, obwohl ich mich nach vier Stunden Langeweile nach der Flucht ins Smartphone sehne. Dazu kommen andere Lügen, die ich oft selbst nicht verstehe: Neulich habe ich bei einem Telefonat auf der Landstraße behauptet, auf der Autobahn zu fahren. Ein anderes Mal habe ich behauptet, ein Buch gelesen zu haben, obwohl es nicht stimmte. Diese kleinen, spontanen Lügen habe ich mir so sehr antrainiert, dass sie mittlerweile wie selbstverständlich aus mir heraussprudeln. Ich muss nicht einmal nachdenken. Und frage mich zunehmend: warum eigentlich?

Lügen gegen die Einsamkeit?

Eine schnelle Recherche im Internet zeigt: Ich bin nicht der Einzige, der es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nimmt. Nur ein paar Klicks weiter lande ich bei den richtig schweren Fällen, bei den sogenannten krankhaften Lügner*innen (Pseudologia Phantastica). Ich lese von Menschen, die Biographien erfinden, vom Job bis zur Krebserkrankung. Und von Hochstapler*innen, die mit erfundenen Sensationen und Katastrophen ganze Gesellschaften zum Narren halten. Die Psychiatrie zählt dieses pathologische Lügen zu den Symptomen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Menschen mit grob vermindertem Selbstwertgefühl phantasieren sich Lebensläufe zusammen, um Minderwertigkeitsgefühlen, Isolation und Einsamkeit zu entkommen.

Schon beim Lesen wird mir klar, dass diese Form des notorischen Lügens mit meinem Problem wenig zu tun hat. Mit meinem Selbstwertgefühl ist, soweit ich das beurteilen kann, alles in Ordnung. Um Lob und Anerkennung meiner Familie muss ich nicht kämpfen. Und auch mein berufliches Ansehen gründet sich auf Leistungen, die ich wirklich erbracht habe.

Der perfekte (Schwieger-)sohn

Vielmehr habe ich das Gefühl, meine permanente Lügerei entspringe dem unbedingten Bedürfnis, Konflikten mit meinen Mitmenschen aus dem Weg zu gehen. Dieses Verhalten kenne ich von mir. In sozialen Interaktionen versuche ich mich immer exakt so zu verhalten, wie sich mein Gegenüber das wünscht. Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, was sich Menschen von mir erwarten, wie sie wollen, dass ich mich als Sohn, als Freund, als Kollege verhalte. Und ich versuche, genau diese Erwartungen zu erfüllen. Also sage ich das, was die Leute hören wollen. Oder um genauer zu sein: Das, von dem ich glaube, dass sie es hören wollen.

Warum ich nicht den Mut aufbringen kann, einfach ich selbst zu sein, weiß ich nicht. Vielleicht ist das mit dem schlechten Selbstwertgefühl also doch nicht so weit hergeholt.

Erschwerend kommt hinzu, dass ich zu den introvertierten Personen zähle. Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die ich nicht wirklich gut kenne, strengen mich an. Während extrovertierte Menschen wie meine Frau aus dem Kontakt mit anderen Kraft schöpfen, ermüdet  mich schon der Gedanke an Smalltalk und Kennenlernen. Nach einem Tag voller Termine starre ich gerne eine Stunde an die Decke, um wieder zu Kräften zu kommen. Nur mit engen Freund*innen und Verwandten verbringe ich wirklich gerne Zeit. Das zwingt mich dazu, im Kontakt mit anderen stets eine Rolle zu spielen. Um mein Unwohlsein zu kaschieren, fake ich, mich wohlzufühlen und das Zusammensein zu genießen. Warum ich nicht den Mut aufbringen kann, einfach ich selbst zu sein, weiß ich nicht. Vielleicht ist das mit dem schlechten Selbstwertgefühl also doch nicht so weit hergeholt. Und überhaupt: Wer interessiert sich schon dafür, wer das Gegenüber wirklich ist?

Was wäre wenn …

Schon öfter habe ich mir vorgenommen, die schlechte Angewohnheit des Lügenerzählens abzulegen und im Alltag einfach bei der Wahrheit zu bleiben. Doch das ist leichter gesagt als getan. Immerhin habe ich meine Alltagslügen so verinnerlicht, dass sie mir zur zweiten Natur geworden sind. Um nicht zu lügen, muss ich mich richtig bemühen. Und schon beginnen die Probleme.

Meine Mutter reagiert beleidigt und nicht verständnisvoll, als ich ihr mitteile, dass ich sie nicht zurückgerufen habe, weil ich nach einem langen Arbeitstag einfach keine Lust hatte, mit ihr zu sprechen. Auch meinen Freundschaften tut es nicht gut, als ich auf Whatsapp-Anfragen nicht reagiere und Gespräche im Messenger unbeantwortet lasse. Und meine Frau ist auch nicht gerade begeistert, als ich ihr zum dritten Mal in Folge erzähle, dass ich heute keinen schönen Tag mit dem Kind hatte und einfach gerne alleine gewesen wäre. Wirklich schwierig wird es aber erst im Büro.

Wenn Lügen die Miete zahlen

In meinem Brotberuf als Texter werde ich nämlich genau dafür bezahlt, die Unwahrheit zu sagen: Ich biege für Pressetexte die Wahrheit zurecht, kehre auf Webseiten Widersprüche unter den Teppich, lasse Gesprächspartner*innen viel freundlicher und klüger aussehen, als sie in Wahrheit sind. Und meine Kund*innen lieben mich dafür. Denn – ganz ohne narzisstische Übertreibung – ich bin der beste Lügentexter dieser Stadt.

„Wer möchte schon einen Schokoriegel kaufen, auf dem steht, dass er gut ist, aber vermutlich auch nicht besser, als alle anderen.“

Würde ich in der Arbeit versuchen, die Wahrheit zu sagen, wäre es dagegen schnell vorbei mit der gut bezahlten Gegenliebe meiner Kund*innen. Wer hört schon gerne, dass das eigene Unternehmen zwar nett ist, aber sicher nicht um Welten besser als die Konkurrenz? Oder dass Urlaub eben nicht nur in Region X schön ist, sondern auch bei Y. Also lüge ich. Weil Lügen das ist, was meine Branche tut. Sie nennt es nur anders: akzentuieren, hervorheben, Markenbotschaften stärken, oder auf neudeutsch „branden“. Auch die Konsument*innen lieben es. Wer möchte schon einen Schokoriegel kaufen, auf dem steht, dass er gut ist, aber vermutlich auch nicht besser, als alle anderen. Und wer will schon beim Unterschreiben des Fitnesscenter-Vertrages wissen, dass es rein statistisch sehr unwahrscheinlich ist, dass er öfter als zehn Mal hingehen wird. Es sind genau jene kleinen Lügen, die meine Kund*innen glücklich machen. Und ihre Kund*innen auch. Was also tun?

Mut zur Wahrheit

Vielleicht wäre es ein erster Schritt, einfach einmal zuzugeben, dass wir alle viel weniger perfekt sind, als wir es uns wünschen. Vielleicht sollten wir ein bisschen öfter versuchen, damit zurecht zu kommen, dass es den perfekten Sohn und Ehemann genauso wenig gibt, wie das perfekte Hotel, den perfekten Urlaub oder die perfekte Kundenbeziehung. Die Vorstellung, nicht vorgaukeln zu müssen, dass alles an mir und um mich herum makellos ist, finde ich tröstlich. Gerne würde ich ein bisschen öfter zugeben, dass ich meine Arbeit mache, weil ich Geld dafür bekomme und nicht, weil ich alles an ihr liebe. Oder dass ich meistens lieber alleine bin, als unter Menschen. Ich hätte gerne die Kraft, diese Einstellung vorzuleben und nicht der inneren Stimme nachzugeben, die mir dazu rät, das zu tun, was ich für erwünscht halte. Vielleicht käme ich dann das ein oder andere mal ohne Lügen aus.

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