„Es geht nicht um Verbote, es geht um Einsamkeit“

Bahnhofsvorplatz Salzburg

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Der Bahnhofsvorplatz ist wieder einmal in aller Munde. Wir haben nachgefragt, wer die Menschen sind, die dort ihre Tage verbringen und ob es wirklich Grund zum Fürchten gibt.

Es ist neun Uhr morgens und im Büro des Bahnhofsozialdienstes (BASO) gurgelt die Kaffeemaschine. Das Team hat sich zur Besprechung versammelt, eine Tür weiter treffen wir Torsten Bichler zum Interview. Seit 2015 leitet er die Wohnungslosenhilfe in der Caritas Salzburg, zu der auch der BASO gehört. Die Einrichtung in der Ferdinand-Porsche- Straße ist jeden Tag geöffnet und dient als erste Anlaufstelle für Menschen in Notsituationen. Über den Bahnhofsvorplatz weiß man hier besonders gut Bescheid und das nicht nur wegen der unmittelbaren Nachbarschaft. Viele der Menschen, über die Medien und Politik gerne diskutieren, sind oder waren schon einmal Klient*innen des BASO.

Wer trifft sich am Bahnhof?

„Die Menschen, die sich häufig am Bahnhofsvorplatz aufhalten, lassen sich vereinfacht gesagt in vier Gruppen einteilen“, erklärt Bichler. Zum einen würden sich Salzburgs Notreisende dort treffen, meist aber nicht zum Betteln, sondern, um sich auszutauschen. Die zweite Gruppe seien junge Asylwerbende aus bahnhofsnahen Unterkünften. „In diesen Quartieren gibt es sehr wenig Platz. Die Männer nutzen den Bahnhof deshalb als erweitertes Wohnzimmer.“ Die dritte Gruppe seien Menschen, die im Zuge der Flüchtlingskrise nach Europa gekommen sind und seitdem in der Illegalität leben. „Sie wissen, dass ihre Chance auf einen legalen Aufenthalt sehr gering ist, und meiden daher weitgehend den Kontakt zu Hilfsorganisationen“, so Bichler.

Bei der vierten Gruppe handle es sich um Menschen ohne Tagesstruktur, die den Bahnhof oft schon seit Jahren als Treffpunkt nutzen. Es sind jene Salzburger*innen, die man untertags mit der Bierdose an der Bushaltestelle treffe und die man in der öffentlichen Wahrnehmung stark mit Obdachlosigkeit in Verbindung bringe. Tatsächlich aber seien die meisten dieser Personen mittlerweile wohnversorgt, erklärt Bichler.

Warum sie sich ausgerechnet am Bahnhof aufhalten? „Einerseits geht es diesen Menschen natürlich darum, nicht alleine zu sein. Andererseits geht es ihnen um Sichtbarkeit. Auch wenn es ihnen vielleicht selbst nicht bewusst ist, sie wollen gesehen werden und sie wollen zeigen: ‘Schaut her, mir geht es schlecht.’“

Viel Lärm um (fast) nicht?

Torsten Bichler will zwar nicht verharmlosen, hält die aktuelle Aufregung um den Bahnhofsvorplatz allerdings für übertrieben. „Gruselbahnhof“ war beispielsweise in einer Lokalzeitung zu lesen. Überschriften wie diese stören ihn. Sie würden in der Bevölkerung Angst schüren und die Fakten verzerren. Dabei sei die Situation seit Ende der Flüchtlingskrise stabil.

Das unterstreicht auch eine Nachfrage bei der Landespolizeidirektion Salzburg. „Die Kriminalität am Bahnhof ist rückläufig“, bestätigt Polizeisprecherin Verena Rainer. In den Köpfen vieler Salzburger*innen hat sich das Bild des gefährlichen Bahnhofes trotzdem festgesetzt: Eine Befragung der Soziologin Rosemarie Fuchshofer zeigt, dass sich viele Passant*innen und Anrainer*innen vor allem in der Nacht unsicher fühlen. Das hat auch die Lokalpolitik verstanden. Die medienwirksamste Maßnahme in der aktuellen Debatte ist ein Alkoholverbot, das für den ganzen Bahnhofsvorplatz gelten soll. Torsten Bichler hat zwar grundsätzlich nichts gegen ein generelles Alkoholverbot einzuwenden, er bezweifelt jedoch, dass es an der Situation vor Ort etwas ändern wird.

„Natürlich ist es nicht schlau, dass sich Leute am Bahnhof treffen, um sich zu betrinken. Schlauer wäre es, wenn jemand zu ihnen hin gehen würde, um sie zu fragen, ‘Was ist eigentlich in deinem Leben los?’”

„Wir reden hier von etwa fünfzehn Leuten, für die dieses Gesetz erlassen wird. Diese Menschen werden wahrscheinlich einfach ein paar Meter ausweichen.” Im schlechtesten Fall würde das Verbot dazu führen, ein bestehendes Problem einfach unsichtbar zu machen: „Alkoholismus ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet, fast jeder kennt jemanden, der Alkoholprobleme hat, aber wenn uns diese Leute in aller Öffentlichkeit damit konfrontieren, dann wollen wir es nicht sehen. Wir halten es als Gesellschaft nicht aus, damit umzugehen und deshalb wollen wir diese Menschen wegschieben”, sagt er. „Natürlich ist es nicht schlau, dass sich Leute am Bahnhof treffen, um sich zu betrinken. Schlauer wäre es, wenn jemand zu ihnen hin gehen würde, um sie zu fragen, ‘Was ist eigentlich in deinem Leben los?’”

Torsten Bichler

Wesentlicher Teil der Lösung müssen soziale Maßnahmen sein. Bichler spricht sich deshalb für den Einsatz von Streetworker* innen und die Errichtung eines Tageszentrums aus, damit Menschen in Not eine Anlaufstelle und einen Weg aus der Einsamkeit hätten. Aber auch Kulturveranstaltungen wie etwa das Take the A Train Festival oder ganz aktuell die Kulturschiene begrüßt der Sozialarbeiter. Sie seien eine Chance, um die Wahrnehmung des Bahnhofes positiv zu verändern und ein neues Miteinander zu schaffen. Wichtig sei dabei, dass die Kulturangebote dem Ort angemessen wären. „Damit die Leute in irgendeiner Form daran anknüpfen können.“

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