An der Grenze

Grenzübergang Walserberg

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Die Kontrollstelle „Schwarzbach“ am Walserberg ist ein Ort von betörender funktionaler Tristesse. Der Eindruck wird vom dunklen Grau dieses Novembervormittags verstärkt. Zwischen Betonbarrieren, Polizeiautos und weißen Containern stehe ich mit dem gut gelaunten Polizeikommissar Martin Zartner, Pressesprecher der Bundespolizei Freilassing. Zartner, Anfang 30, ist ein sympathischer Typ; einer dem man fraglos abnimmt, dass er Polizist geworden ist, um die Welt ein Stückchen besser zu machen.

Der Arbeitsalltag spielt sich zwischen PKW- und LKW-Spur ab. Stereo-Brummen. Zwölf Stunden dauert eine Schicht. Einzige Abwechslung: Ein Filterkaffe aus der 2-Liter-Kanne in einem engen und trostlosen Container, dazu vielleicht eine Zigarette an einer zum Aschenbecher umfunktionierten Großvorratsdose Blaukraut („Da steckt Heimat drin“). Die Beamt*innen kommen aus ganz Deutschland und werden wochenweise an den Grenzen eingesetzt. Übernachtet wird in Pensionen oder Hotels. Man nimmt es zwar mit Humor, wirklich gern scheint hier aber niemand in der Novemberkälte zu stehen. Neben den Beamt*innen der Bundespolizei, deren Hauptaufgabe die Ermittlung von „unerlaubten Grenzübertritten“ ist, sind auch Beamt*innen der Bayerischen Landespolizei im Einsatz. Deren Fachgebiet ist eher die Ermittlung von Verkehrsdelikten.

Damit sind wir auch schon beim Thema: Was wird hier eigentlich tagein, tagaus gesucht?

In erster Linie ginge es um die Kontrolle der Einreise vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und den terroristischen Anschlägen der letzten Jahre. Das sei notwendig, solange die EU-Außengrenzen „unzureichend gesichert“ sind, erklärt Zartner. Daneben gibt es aber auch allerhand Beifang: Drogen, Waffen, Nazi-Devotionalien, gesuchte Personen, aber auch abgenutzte Bereifung, Fahren unter Drogeneinfluss oder Hunde, die nicht artgerecht gehalten werden. Die Liste ist lang und eigentlich ist wenig Überraschendes dabei. Mal abgesehen davon, dass man sich fragt, welcher Idiot mit 38 Kilo Marihuana an Bord in diese Kontrollstelle fährt.

Kontrolliert wird grundsätzlich an allen österreichisch-deutschen Grenzübergängen, jedoch nur an drei Autobahn-Übergängen rund um die Uhr. Über die Autobahn am Walserberg fahren ca. 60.000 Autos am Tag nach Deutschland. Die Zahl der kontrollierten Fahrzeuge variiert stark. Bei großem Rückstau werden die Kontrollen teilweise auch kurzzeitig ausgesetzt. Wer in die Kontrollstelle einfährt, passiert einen halboffenen Container in dem Beamt*innen mit strengem Blick die Kontrollwürdigkeit eines Fahrzeugs abschätzen. Mich interessiert, ob man als dunkelhäutiger Mensch mit osteuropäischem Kennzeichen auch über diese Grenze fahren könne, ohne kontrolliert zu werden und ob es nicht schwierig sei, die Vorauswahl vorurteilsfrei zu treffen. Die Antwort des Polizeisprechers ist wenig überraschend: Vorurteile haben in der Polizeiarbeit nichts verloren. Die Kriterien sind ausschließlich polizeiliche Erfahrung und aktuelle Lagebilder. Die Kontrollen würden stichprobenartig durchgeführt. Das klingt ein klein wenig so, als ob nach dem Zufallsprinzip jede*r von den Kontrollen betroffen sein könnte. Mehr als einmal betont Zartner, dass auch er oder Kollegen schon öfter kontrolliert worden seien.

Als wir wenige Minuten Später vor dem Kontrollzelt stehen, sehe ich vor allem osteuropäische Kennzeichen und Menschen, deren Aussehen ganz und gar nicht dem Klischeebild klassischer Mitteleuropäer*innen entspricht. Angesichts dieser Situation stelle ich meine Frage erneut. Hier soll voruteilsfrei kontrolliert werden? Zartner verweist unbeeindruckt auf polizeiliche Erfahrung und aktuelle Lagebilder.

Ich will das gerne glauben. Wer wünscht sich nicht eine Polizei, die vorurteilsfrei und fair handelt.

Ich frage Zartner, wie die Grenzkontrollen bei der grenznahen Bevölkerung ankommen. Er erklärt, dass die Kontrollen grundsätzlich für ein verbessertes Sicherheitsgefühl sorgen würden und sich die Beschwerden deshalb weitgehend auf das Stauaufkommen und den Ausweichverkehr beschränken. Die Kontrollen seien das Ergebnis politischer Willensbildung, also demokratisch legitimiert und in Anbetracht der Situation an der EU-Außengrenze schlichtweg notwendig.

Aber spiegelt diese Meinung auch die Stimmung innerhalb der Polizei wider? Erst vor wenigen Monaten bezeichnete etwa der bayerische Polizeigewerkschafter Hermann Benker die Kontrollen als “mittelalterlich” und “antiquiert”. Gerne würde ich einige der schwarzgekleideten Männer und Frauen fragen, die bei einer Zigarette neben dem Container zusammenstehen. Große politische Entscheidungen hin oder her: Schließlich sucht man sich seinen Job ja selbst aus. Doch ein persönliches Gespräch mit Beamt*innen wird nicht möglich sein. Das hat man mir schon im Vorfeld meines Besuches mitgeteilt. Deren persönliche Meinung, tue nichts zur Sache.

Ganz gleich, was Exekutive und Bevölkerung von den Kontrollen halten, eines scheint allen klar: Dass es so schnell keine Rückkehr zur EU ohne Grenzen geben wird – zu jener EU also, die eine ganze Generation junger Salzburger*innen und Bayer*innen bisher als Selbstverständlichkeit wahrgenommen haben. Im Fühjahr wird erneut darüber entschieden, ob die Grenzkontrollen über den Mai 2018 hinaus verlängert werden sollen. Bis dahin werden am Walserberg weiterhin Heizstrahler surren, Filterkaffee fließen, Nerven im Stau blankliegen und zahlreiche Fahrten aufgrund von größeren oder kleineren Delikten ein ungeplantes Ende nehmen. Ich jedoch werde voll Optimismus daran glauben, dass eines Tages wieder Normalität einkehrt.

Kommentar: Was ich von den neuen/alten Grenzen halte?

Als ich vor gut zehn Jahren meinen Wohnsitz aus dem grenznahen Bayern dauerhaft nach Salzburg verlegte, fühlte sich das nicht gerade nach auswandern an. Grenzkontrollen an der österreichisch-deutschen Grenze waren für mich lediglich eine verschwommene Erinnerung aus Kindertagen: Die Eltern vergewisserten sich vor Fahrtantritt, ob alle Pässe an Bord waren und dann wurden Tagesausflüge in die Berge unternommen. Auf der Heimreise gab es kilometerlange Staus die man wohlig im Kindersitz schlummernd überdauerte. Von Freund*innen die auf der österreichischen Seite aufwuchsen hörte ich oft „Schmuggelgeschichten“: Da wurden etwa kleine Elektrogeräte oder Tiernahrung unter dem Rücksitz mit nach Hause genommen.

Über den EU-Beitritt Österreichs und dessen Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Personenverkehr wurde ich kindgerecht vom ORF Confetti TiVi aufgeklärt und auch meine Eltern lobten fortan bei so gut wie jedem Grenzübertritt die Errungenschaften eines zusammenwachsenden Europas. In meiner Wahrnehmung waren Grenzkontrollen bald schon ein großer historischer Fehler, den man sich eingestanden und ihn folgerichtig behoben hatte. Ich wurde in dem Bewusstsein erwachsen, dass Europa immer stärker zusammenwachsen würde und Nationalstaaten gewiss auch in Zukunft zunehmend an Gewicht verlieren würden.

So erwischte es mich ziemlich kalt, als der Rat der EU den sogenannten „Krisenmechanismus des Schengener Grenzkodex“ aktivierte und Deutschland im September 2015 erneut Grenzkontrollen einführte. Das Bild, dass die schwarz bekleideten Beamt*innen mit strengem Blick und anfangs noch mit Sturmgewehr abgaben, war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich habe keine Angst vor Flüchtlingsströmen. Ich habe auch keine Angst vor Terrorismus. Und auch dass Drogen oder Wasweißichwas von A nach B transportiert werden rechtfertig es für mich nicht, die Errungenschaften von 20 Jahren „weicher Grenze“ in die Tonne zu treten. Da das Thema für mich ziemlich emotional geladen ist, sah ich in den Kontrollen vor allem das Scheitern der europäischen Idee, direkt vor meiner Haustür.

Meine tiefe Abneigung gegen Grenzkontrollen teilt jedoch offenbar nur eine Bevökerungsminderheit. Wenn sich Millionen Deutsche mit Grenzkontrollen sicherer fühlen, wenn die CSU mit einer harten Linie auf Stimmenfang gehen will, wenn die deutsche Bundesregierung ohne Grenzkontrollen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit sieht, dann werde ich mit meiner „No Border – No Nation“-Attitüde wohl kaum etwas ändern. Zumindest bieten sich für mich in nächster Zeit wieder Möglichkeiten, dem Problem mit einem wohlpositionierten Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu begegenen.

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